Der Artikel Die Kehrseite der Globalisierung bei Zeit-Online wirft ein interessantes Bild auf die Globalisierung: Einerseits haben sich die Lebensverhältnisse in einigen Punkten (z. B. Einkommen, Ernährung) in den letzten 20 Jahren global gesehen verbessert, aber andererseits ist es zu einer Konzentration von Macht, Geld und Wissen gekommen.
Ursache dieser Konzentration soll der Matthäus-Effekt sein: »Wer hat, dem wird gegeben« oder »Geld geht zu Geld«. Wenn man sich einige Technologiekonzerne ansieht, so findet man leicht Beispiele:
Wer einen neuen Computer kauft, greift eher zu einem Windows-System, da er dieses oft bereits kennt oder es sehr wahrscheinlich ist, dass er einen Bekannten hat, der ihm bei Problemen helfen kann, oder dass die von ihm genutzten Programme unterstützt werden.
Die Marktdominanz von Microsoft wächst damit also weiter – eine Geschichte, die ich oft im Zusammenhang mit Windows 95 gehört habe: Microsoft soll bei den Raubkopien im Privatbereich weggesehen haben, um eine entsprechende Verbreitung zu erzielen und dann im Geschäftsumfeld genau diesen Bekanntheitsgrad auszunutzen.
So sehr alle auf Facebook oder Whatsapp schimpfen, wie schlimm und schrecklich der Konzern dahinter doch sei, es sind sehr viele Leute darüber zu erreichen, weil viele Leute darüber zu erreichen sind.
Wenn man die (unausgesprochene) Aufgabe hat, eine einzige App/einen einzigen Weg zu wählen (weil man nicht mehrere Anwendungen beherrschen und pflegen will), um mit seinen Bekannten zu kommunizieren, dann wird man eines der großen Netzwerke wählen, weil man darüber viele Leute erreicht.
Dies sind zwei Beispiele für den Effekt, dass die Punkte im Netzwerk den meisten Zulauf haben, die am Stärksten ausgeprägt sind. Es liegt also in gewisser Weise in der Sache des Systems, dass sich herausragende Punkte immer mehr steigern. Als Beispiel hierfür werden in dem Artikel auch (Mega-)Städte angeführt, die aufgrund der besseren Strukturen immer mehr Leute anziehen, die wiederum die Strukturen verbessern und die Städte noch attraktiver werden lassen.
Ein ähnliches Phänomen ist mir auch bei Geld aufgefallen: Wenn ein Unternehmen (nehmen wir als Beispiel eine Sauna) Geld für Investitionen einsammeln will, kann es seinen Kunden Guthabenkonten einrichten. Von der Verwaltung her ist es sinnvoll, lieber wenige Konten mit viel Geld zu haben, als viele Konten mit wenig Geld. Deshalb wird man den Anreiz für eine Einzahlung von 500€ höher setzen als bei einer Einzahlung von 100€. Der Kunde, der einem mehr Vertrauen (sprich Geld) gibt, dem will man mehr zurückgeben.
Aber in der Gesamtsicht führt dies dazu, dass die Kunden, die bereits viel Geld haben und somit 500€ vorschießen können, am Ende mehr Leistung beziehen als ein Kunde, der nur 100€ übrig hat, oder der Kunde, der kein Geld übrig hat, das er anlegen könnte. In dem System ist meiner Meinung nach selbst verankert, dass der, der viel hat, noch mehr bekommt.
Den Effekt kann man auch invers sehen: Wenn die Anzahl der verschickten Briefe zurückgeht muss die Post den Preis für den Versandt anheben, um die Fixkosten zu decken. Dies wird weitere Nutzer abschrecken und die Anzahl wird weiter sinken.
Interessant ist auch, dass laut dem Artikel dieser Matthäus-Effekt 1999 von Albert-László Barabási und Réka Albert formell bewiesen wurde. Daher sehe ich die Aufgabe eines Staates respektive einer Regierung genau darin, diesen Effekt entgegenzuwirken.
Das Phänomen wird auch Netzwerk-Effekt oder Metcalfesches Gesetz genannt und beschreibt die Aussage als: der Wert eines Netzwerks wächst proportional mit dem Quadrat der Anzahl seiner Nutzer – polynomielles Wachstum. Ab einem gewissen Punkt bringt jeder neue Nutzer einen vielfachen Gewinn für das Netzwerk, womit die Bedeutung und Anziehungskraft des Netzwerks stärker als linear wächst.
Durch die 1. Folge der Sternengeschichten bin ich darauf gestoßen, dass es das Phänomen der Präferenz des Größeren auch in der Physik gibt: Das Gravitationsgesetz besagt unter anderem, dass die Anziehungskraft proportional zur Masse ist. In einer Wolke haben also große Teilchen eine stärkere Anziehungskraft auf die anderen Teilchen, weshalb diese sich zu ihnen hinbewegen, sofern nicht ausgleichende Gegenkräfte existieren.