Bei Deutschlandfunk-Kultur habe ich eine Diskussion zum Thema Gerechtigkeit gehört. Viele der Hörerbeiträge finde ich im konkreten Fall uninteressant, aber alle gemeinsam betrachtet, geben diese ein kleine Studio, worum es bei Gerechtigkeit geht.
Gerechtigkeit ist ein Gefühl
Gerechtigkeit wird sich nur schwer messen lassen und ist sehr individuell geprägt. Wie auch der eine Hörer sagte, hängt das Gerechtigkeitsempfinden stark mit Zufriedenheit und Neid zusammen. Daher würde ich sagen, dass man die Gerechtigkeit einer Gesellschaft als den durchschnittlichen Abstand der Individuen paarweise zueinander auffassen kann. Bildlich gesprochen, ist eine gerechte Gesellschaft also eine, die emotional eng beieinander liegt.
Dazu passt auch das Beispiel des Managers, der sich mit seinem Gehalt nicht mehr am Gehaltsgefüge seines Konzerns oder der deutschen Gesellschaft orientiert, sondern sich global ausrichtet und somit die Gesellschaft »verlässt«. Dadurch verletzt er das Gerechtigkeitsgefüge der Gesellschaft.
Die Idee, die Gehaltsspanne in Firmen gesetzlich zu begrenzen, ist also gar nicht zu abwegig. Damit würde man im finanziellen Blick die Gesellschaft zusammenhalten.
Chancengleichheit
Es wurde auch mit angesprochen, aber leider nicht so weit ausgeführt. Gerechtigkeit hängt stark mit Chancengleichheit zusammen. Es geht weniger um die Ergebnisgleichheit als um die Ausgangsgleichheit: Wenn zwei Leute mit den gleichen Voraussetzungen starten und unterschiedliche Ergebnisse erzielen, wird dies nicht als ungerecht empfunden, wie die gleiche Aufgabenstellung mit unterschiedlichen Voraussetzungen.
Hier hätte man in der Sendung auf Bourdieu und seine Theorie von den unterschiedlichen Kapitalen (ökonomisches, soziales, kulturelles). Vielfach wird Ungleichheit am ökonomischen Ausgangspunkt festgemacht, aber daneben gibt es noch andere Richtungen, die übersehen werden.
Transparenz
Bei vielen Beispielen, die die Hörer geschildert haben, fand ich deren Einwand berechtigt, aber in einem größeren Kontext gesehen, sind viele Regelungen die gerechteste Variante, die man gefunden hat.
Das Beispiel mit der GEZ ist recht anschaulich. Für reine Radiohörer erscheint die Bezahlung von Gebühren für einen Fernsehempfang als ungerecht, weil die für etwas bezahlen müssen, für das sich gar nicht die Chance (Voraussetzung) haben, es nutzen zu können. Aber umgekehrt hätte man diese Ungleichheit nur ausgleichen können, indem man in die Persönlichkeit der Bürger eingreift und die Angabe von Radio- oder Fernseherbesitz prüft, und für moderne Empfangsgeräte wie Handys wäre das auch schlicht nicht feststellbar gewesen, welche Form genutzt wird. Da ein Smartphone immer auch Bilder empfangen kann, wäre für einen Großteil der Bürger die Fernsehgebühr gekommen.
Eine 100%‑ige Gerechtigkeit kann es nur selten geben, weil die Regelungen dafür zu komplex würden. Und genau das hat sich in der Sendung mit gezeigt: Für das Gerechtigkeitsempfinden ist Transparenz und Aufklärung wichtig. Man muss den Leuten erklären, wie Entscheidungen zustandegekommen sind und ihnen die Einsicht in die globalen Betrachtungen geben.