Dass sich etwas an der Art des Unterrichts in der Schule etwas ändern muss, fiel mir selbst schon zu meinen Schulzeiten auf und wurde mir danach immer bewusster, je mehr ich in der Uni und anderenorts verschiedene Stile der Wissenspräsentation erlebt habe.
Ich habe die Tage die Folge Lernen Lernen Lernen #001 mit Lisa Rosa über Schulgeschichte und den Sinn des Lernens vom SozioPod gehört und dabei ist mir auch wieder deutlich geworden, wie stark sich doch unsere Auffassung von Schule und Lernen verändern muss. (Ein weiteres interessantes Gespräch mit Lisa Rosa beim Podcast Wege der Digitalisierung: E48 und E49)
Wissen ist nichts, dass man jemandem beibringen kann. Man kann es ihm nur anbieten und nahe bringen, aber aufnehmen und verstehen muss er es selbst. Deshalb lernen Menschen auch individuell. Unser bisheriges Bildungssystem mit seinen preußisch, militärischen Wurzeln hat den Ansatz, dass man jemandem etwas hinwirft und er nimmt es auf, ohne zu hinterfragen und ohne dass es ihm Schwierigkeiten bereitet. Für Faktenwissen und erlernen von grundlegenden Fertigkeiten mag dies gut funktionieren. Aber in Zukunft wird Wissen gefragt sein, dass über reines Faktenwissen hinaus geht.
Während in meiner Schulzeit das Wissen vom »allwissenden« Lehrer weitergegeben wurde und wir als Schüler uns erschließen mussten, was wir damit tun können (oder uns auch oft genug damit allein gelassen und überfordert fühlten), sollte das Bild in der Zukunft eher dem von Lisa Rosa im Podcast skizzierten Bild eines Führers einer Expedition durch unbekanntes Terrain gleichen.
Der Ausgangspunkt des Wissens sollte nicht mehr der Lehrer, sondern der Schüler sein. Die Ergründungsreihenfolge »Was, Wie, Warum« sollte sich umkehren und die Schüler sollten vom »Warum über das Wie zum Was« kommen. Bei meinen Nachhilfeschülern sehe ich, dass heute auch noch in der Mathematik erst die Methode präsentiert wird, dann übt man diese und am Ende kommt eine Sachaufgabe für die praktische Anwendung.
Ich würde eher versuchen, die Schülern mit einer aktuellen Aufgabenstellung zu konfrontieren und davon ausgehend mögliche Wege und Methoden suchen und vorstellen, wie man die Aufgabe löst. Nicht mehr der Lehrer mit seinem Wissen, das er weitergeben will, steht im Mittelpunkt, sondern der Schüler mit einer (künstlich gestellten) Frage und der Lehrer hilft ihm, diese zu lösen.
Dabei würde ich nicht die Konstellation des Frontalunterrichts auflösen, denn es sollte einen zentralen Ort geben, auf denen sich zeitweise alle fokussieren und über den gemeinsames Wissen ausgetauscht wird. Ich persönlich empfinde auch Frontalunterricht als das effizienteste Vorgehen von Massenvermittlung. Die Art dieses Frontalunterrichts ist dabei gleich: der eine mag lieber ein Buch lesen und der andere lieber ein Video schauen, wobei eben jede Form ihre eigenen Vorzüge hat.
Wichtig ist aber, in welcher Reihenfolge man das Wissen aufbereitet. Trigonometrie wird zum Beispiel als neues Stoffgebiet begonnen, dafür werden die drei Grundbeziehungen Sinus, Kosinus und Tangens präsentiert, die jeder auswendig zu lernen hat und im Anschluss übt man diese am Dreieck zu identifizieren und zu berechnen. Danach kommen Sachaufgaben, für die man die trigonometrischen Funktionen anwendet. »Was – Wie – (und irgendwie quält man sich noch ab) Warum«
Stattdessen wäre es anschaulicher, wenn man mit der Fragestellung startet, dass man zum Beispiel den Abstand eines Fußballspielers zum Tor bestimmen will, wobei man leicht die Länge entlang der Grundlinie und den Winkel bestimmen kann. Anhand dieser Aufgabe kann man anschaulicher Sinus und Kosinus präsentieren als völlig abstrakt vom Himmel gefallen und den Schülern eher einen Sinn für den Stoff vermitteln. Ganz so sehr beantwortet das dann zwar noch nicht die Frage, warum man das lernt, aber darauf sollte ein Lehrer heute auch eine bessere Antwort als die zu meinen Schulzeiten »Weil es im Lehrplan steht« geben können: »das Erlernen von abstrakten Denken«.
Als anderes Beispiel fiel mir noch das Thema Druck in der Physik ein: Die Ausgangsfrage könnte sein »Warum ein Messer funktioniert«. Dann könnte man (in einer Art Brainstormin) die Schüler gedanklich analysieren lassen, was die Besonderheit eines Messers ist und wie die Schneide aufgebaut ist. Damit kann man das Prinzip Kraft auf Fläche herleiten und auch andere Phänomene wie den Kühlschrank erläutern.
Ein Schüler sollte vom Lehrer gezeigt bekommen, was er alles in seiner Umgebung entdecken und wie er es entschlüsseln kann. Es sollte stärker das Lernen, Untersuchen und Entdecken gefördert werden, als ein Fakten einprägen. Wenn man dabei den Schülern streckenweise immer wieder den Freiraum lässt, dass sie selbst laufen können, in ihrem individuellen Tempo gehen und vielleicht auch in eine andere Richtung abschweifen können, fördert dies mehr die Entdeckerqualitäten und das Interesse an Neuem als ein stures Auswendiglernen mit Praxisbeispiel als Zugabe.
Hierfür müssten aber Lehrer erst einmal wieder selbst zu Erkundern des Lebens werden, um mithilfe ihres Wissens sehen zu können, was es zu entdecken gibt und dann auch bewusst den Pfad durch das unbekannte Gebiet gehen zu können. Wenn der Lehrer frei und sicher genug ist, kann er auch gemeinsam mit seinen Schülern Fachgebiete neu ergründen, ohne dass er an einem vorher festgelegten Ort herauskommt. Jedoch erfordert dies auch mehr Freiheiten im Lehrplan. Ein echter Umbau des Schulverständnisses ist notwendig.
Wie Lisa Rosa auch an anderen Beispielen erläutert hat, brauchen wir einen fundamentalen Wandel und dazu gehört eben, dass sie der Lehrer nicht mehr als – wie es zu meinen Studienzeiten über Professoren galt – »Gott der einmal in der Woche seine Weisheit in Form von Folien präsentiert« sieht, sondern eher als »Expeditionsleiter und Begleiter bei der Erkundung von fremden Fachgebieten«.