Ein sehr umfassender Artikel »Demografie: 7,7 Milliarden Menschen« erläutert, dass durch die fortschreitende Bildung die Weltbevölkerung nicht ewig wachsen wird, sondern in 50 oder 80 Jahren bei 9 oder 11 Milliarden Menschen wieder beginnt zu schrumpfen. Dieses Phänomen ist bereits seit dem 19. Jahrhundert in den westlichen Gesellschaften zu beobachten: Die Geburtenrate sinkt und das bis unter das Reproduktionsniveau von 2,1 Kinder pro Frau.
In einigen Entwicklungsländern hat der Geburtenrückgang auch schon eingesetzt und einige Länder kommen dem Reproduktionsniveau nahe. Die Prognose ist, dass der Umbruch in den Entwicklungsländern viel stärker kommen wird als es in den Industrieländern der Fall war, sprich die Herausforderungen an die Sozialsysteme noch stärker werden.
Dennoch scheint auch an dieser Stelle die Natur einen Korrekturmechanismus eingebaut zu haben, der eben ausgewachsene Gesellschaften, fett und träge werden lässt – genauso wie Großkonzerne gesättigt und innovationsarm werden, so scheint auch die Weltbevölkerung sich einem Wohlstandsniveau zu nähern.
In dem Vortrag Don't panic liefert Hans Rosling noch mehr Fakten über die Entwicklung der Weltbevölkerung. So hat sich zum Beispiel die Anzahl der Kinder seit 2000 stabilisiert und liegt bei 2 Milliarden – der »Nachschub« ist also zum Erliegen gekommen und daher wird auch das Gesamtwachstum in einigen Generationen zum Erliegen kommen.
So wie Rosling es präsentiert, sind der Antrieb für viele Kinder vor allem die schlechten Aussichten für die Zukunft. Wenn aber Eltern aufgrund des medizinischen Fortschritts zuversichtlicher in die Zukunft blicken können, werden sie keine »Reserven« in Form von weiteren Kindern anlegen.
Viele Kinder waren also in schlechten Zeiten nur eine Kompensationsreaktion der Zustände, um eben das notwendige Reproduktionsniveau zu erreichen. Dennoch wird in den nächsten Jahren die Bevölkerung weiterhin wachsen, obwohl die Wachstumsrate konstant bleibt, wie Rosling sehr anschaulich zeigt – Mathematik kann gemein sein.
Der Großteil neuen Bevölkerung wird in Afrika (3 Mrd., 400 %) und in Asien (1 Mrd., 125 %) hinzukommen. Einher mit dem Bevölkerungswachstums geht auch die technologische Entwicklung, die weiterhin den Ressourcenverbrauch ansteigen lässt. Der Wunsch nach Fortschritt und einem angenehmeren Leben ist natürlich, wie Rosling am Beispiel der Waschmaschine zeigt. Jedoch ist nicht die ärmste Hälfte der Bevölkerung das Problem, sondern die reichere Hälfte: Wenn die Schwellenländer auf das Niveau der entwickelten Länder gehen, wird der Ressourcenverbrauch massiv ansteigen.
Länder wie Mosambik haben große Vorkommen an Kohle und es ist völlig abwegig, dass sie diese bei fortschreitender Technologisierung nicht auch nutzen werden – das Pariser Klimaziel von 2 °C ist Augenwischerei, wir werden weit darüber hinaus schießen.
Die Folgen
Ich habe auch an anderer Stelle erlebt, dass Gruppe gewisse Evolutionsstufen nicht überspringen können. Ich habe versucht beim Projektmanagement die Phase der Überregulierung zu überspringen, weil ich schon wusste, dass es danach wieder in die andere Richtung ging … aber die Leute waren nicht zu überzeugen. Ähnlich ist es wohl auch bei Kindern, die gewisse Erfahrungen erleben müssen. Wenn man sie ihnen vorenthält, wird diese Phase später nachgeholt. Genauso, glaube ich, ist es auch mit Gesellschaften. Gewisse Entwicklungen lassen sich überspringen, aber schon allein in Ermangelung von Alternativen werden die Entwicklungs- und Schwellenländer die gleichen Fehler begehen, die wir fortgeschrittenen Länder begangen haben. Und noch dazu fehlt uns das Bewusstsein dafür, dass wir die Länder unterstützen müssen, eben genau in diese Falle der Evolution nicht zu tappen.
Auch ist für mich immer noch fraglich, welche Schäden der Turbokapitalismus anrichten wird. Wir hatten viele Jahrzehnte Zeit, um uns mit dieser Denk- und Lebensweise anzufreunden. Wenn Gesellschaften dies aber in wenigen Jahrzehnten durchlaufen, werden sie überwältigt wie wir gerade von der Digitalisierung – das natürliche Hineinwachsen fehlt. Bei uns hat dies zu Konflikten wie dem 1. und 2. Weltkrieg geführt. Zu welchen Spannungen es zum Beispiel in Südostasien, innerhalb von China oder Afrika führen wird, bleibt abzuwarten.
In Bezug auf Afrika frage ich mich auch, wie sich deren Kultur entwickeln wird, wenn ihnen die Geschichte fehlt. Wir in Europa haben in den letzten 500 Jahren eine solch reichhaltige Geschichte erfahren, aus der wir viel schöpfen können: Musik, Kunst, Technik, Bauten, Denkmäler, Literatur u. s. w. China kann auch auf eine alte Geschichte zurückgreifen, aus der es eine Identität schaffen kann. Aber Afrika wird fast nur die Geschichten von anderen erzählen können. Welche Auswirkungen wird das auf die Identität haben?