Der Artikel Internetpornografie: Die Pornos der Anderen bei Zeit-Online wirft eine interessante Frage auf: Wie werden wir in Zukunft mit dem umfangreichen, digitalen Wissen über andere Menschen umgehen?
Eine Frage, die ich mir selbst schon oft gestellt habe und von der ich hoffe, dass wir sie mit einem gestärkten Selbstwertgefühl und mehr Rückgrat beantworten werden. Bei all den Daten, die wir heute digital verteilen – seien es öffentlich zugängliche oder nur die in geschlossenen Gruppen –, wie werden wir reagieren, wenn uns ein Gegenüber in Zukunft damit konfrontiert? Werden wir unter der Last zusammenbrechen und erpressbar; uns dieser Macht ergeben? Oder werden wir sie ignorieren und als unwahr abdrängen?
Welche Auswirkungen hat diese Zukunftsvision auf unser heutiges Handeln? Verfallen wir in Lethargie und Starre und wagen uns nicht mehr zu bewegen, weil alles irgendwann gegen uns verwendet werden könnte?
Ich hoffe, auf beide Fragen können wir mit einem starken Selbstwertgefühl mit »Ja und?« reagieren. Wir müssen in Zukunft von unserem Gegenüber einfordern – aber genauso als Wissender handeln –, dass wir ein Recht auf Veränderung und ein Recht auf Vielfältigkeit haben. So wie Berthold Brecht sprach »Wer A sagt, muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war«, so müssen wir akzeptieren, dass die Daten der Vergangenheit – und das können schon die von gestern sein – sich überholt und ihre Gültigkeit verloren haben. Aber auch wenn die Gültigkeit der Daten Bestand hat, so müssen wir es aushalten und ertragen können, dass Menschen vielschichtig sind, dass sie eine Privatsphäre haben, in der sie völlig anders seien dürfen. Die wilde Vermischung von Daten und der Wahn einfache, einheitliche und passgenaue Menschen zu haben, lassen sich nicht vereinbaren. Menschen müssen vielschichtig bis hin zu widersprüchlich sein.
Das Übergehen der Reflexe, jemanden aus einem Wissen heraus nachteilig (oder zum Vorteil) zu behandeln, kostet Kraft und Disziplin. Aber genau das müssen wir aufbringen und einfordern. Dabei müssen wir auch anerkennen, dass dies nicht immer gelingen wird und es deshalb Nachsicht bedarf, wenn es nicht gelingt.
Es wäre also fatal, wenn wir uns heute nicht in die digitale Welt trauten, weil es uns (hypothetisch) in Zukunft schaden könnte. Aber wir sollten eben auch mit dem Bewusstsein handeln, dass es uns schaden kann: Der kurze Gedanke vorm Verschleudern der Daten ist gut investiert. Wenn dann irgendwann die Konsequenzen kommen, ist man besser derer gewappnet und kann sagen »Ja, das war früher einmal so, aber heute sehe ich das anders« oder »Ja, das ist so, aber das gehört nicht hier her, das ist privat«.
Vielleicht werden wir ins 20 Jahren viele vermeintliche Skandale erleben, aber dann sollten wir uns unserer Reflexe erwehren und den Skandalmachern der Klatschpresse auch deutlich zeigen, dass wir das nicht so sehen.