Das ist aus einem Chat:
Der andere: Glaubst du, dass es in Deutschland noch viel Homophobie gibt? Nicht nur ältere, auch junge Leute.
Ich: So pauschal würde ich das nicht beurteilen. Man muss auf alle Fälle zwischen offener und verdeckter Ablehnung unterscheiden. Echte Übergriffe, Beleidigungen oder Benachteiligungen sind eher selten. Ach bei jungen Menschen herrscht in dem Punkt der Anstand und sie tun das, was die Gesellschaft verlangt.
Aber hinter vorgehaltener Hand gibt es noch viele Vorurteile und Ausgrenzung. Die verdeckten homophoben Züge würde ich noch als hoch einschätzen. Da wird es auch bei uns noch sehr lange (mehr als 50 Jahre) brauchen, bis es egal ist, wie man ist. Selbst Frauen kämpfen schon so lange um eine Gleichbehandlung und immer noch gibt es verdeckte Diskriminierung.
Der andere: Boah das ist ja ein sehr langer Prozess. Da müssen wir wohl geduldig sein. :D
Ich: Kulturelle Prozesse brauchen Geduld. Damit sich der Mensch an etwas gewöhnt, es sich in seine DNA schreibt, braucht es viel Zeit. Alle Prozesse, die sehr schnell ablaufen, sind nicht nachhaltig und bergen die Gefahr einer Abwehrreaktion in die entgegengesetzte Richtung. Die Willkommensbereitsschaft der Flüchtlinge 2015 war wenig aus den Menschen heraus und vielfach nur verordnet, also von oben her kommend – wobei oben hier keine Regierung sondern die Moral meint. Deshalb ist auch die Gegenwehr so groß.
Womit man definitiv auch rechnen muss, ist ein Rückschritt. Prozesse verlaufen nach Hegel immer in einem Wechselspiel zwischen These und Antithese. Es geht also oft zwei Schritte vorwärts und einen zurück. Man erkennt leider oft erst den Wert einer Sache, wenn man sie nicht mehr hat.
Ich denke, das ist auch der Teil der Ostalgie, der Sehnsucht der DDR-Bürger nach früher. Es gab damals einige Dinge, die besser waren und das haben die Leute gespürt; z.B. das soziale Miteinander und den Verlust spürt man jetzt, wenn es auf Arbeit nicht mehr so kollegial ist, und wünscht sich diese Zeit zurück.
Also auch bei den Schwulenrechten ist von Natur aus noch mal ein Schritt zurück zu erwarten. Und all dieses Vor und Zurück, Euphorie und Zweifel braucht eben Zeit.