Bei der Zeit ist der Beitrag »Vom guten Recht zu überleben« erschienen, in dem Elisabeth von Thadden das Ziel nicht vorzeitig zu sterben, eines der Lebensziele der Philosophin Martha Nussbaum, zum Gegenstand nimmt und anhand der Corona-Krise zum einen aufzeigt, wie sehr die Achtung vorm Leben in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Bedeutung gewonnen hat, und zum anderen die Frage aufwirft »Wann vorzeitig ist«. Diese orientiert sich aber für mich zu sehr an externen, zum Teil unbeeinflussbaren Faktoren. Deshalb hier mein Kommentar dazu:

Weshalb bemisst sich ein »Vorzeitig« an Jahren und hängt vielleicht das im Text erwähnte Alter 65/69 mit dem Renteneintrittsalter zusammen, ab dem die Leistungsgesellschaft keine Wertschöpfung mehr vom Individuum erwartet? Wäre es so schlimm, wenn auch ein 40-jähriger Mensch sagt »Ich bin glücklich und habe ein erfülltes Leben gehabt«? Mancher Mensch erreicht ein paar Jahre früher den Zustand der Zufriedenheit als andere, so dass er glücklich ist, auf Erden zu sein. Und manch anderer hofft, dies komme dann nach der Weltreise, die er später unternimmt.

Unser Ziel sollte nicht sein, den Menschen dabei uns unterstützen, eine Marke zu erreichen, die von vielen unbeeinflussbaren Faktoren abhängt und die im Wettstreit mit anderen als Mittelwert bestimmt wird und nur ein Höher kennt. Vielmehr sollten wir den Menschen ermöglichen, frühestmöglich den Zustand der Zufriedenheit zu erreichen.

Doch stattdessen lassen wir uns heute von Statistiken und anderen Menschen erklären, wann wir sterben dürfen und ob wir dafür bereit seien dürfen. Aber genauso wie Statistik die individuellen Risiken verwischt und dennoch das eine Jahr bestimmt, so kann uns auch der höchst individuelle Zustand der Zufriedenheit (gemäß dem man vielleicht auch eine Patientenverfügung verfasst oder anpasst) ein Ziel sein, für das wir die Menschen unterstützen, es zu erreichen.

Auch in anderen Kommentaren zu dem Artikel wurde die Frage nach dem »Sterben der Frau oder der Kinder« aufgeworfen, nicht die der eigenen Betroffenheit. Im System Familie besteht natürlich auch eine Abhängigkeit, aber es hat niemand einen Anspruch darauf, zu entscheiden, ob jemand anderes sterben oder leben soll. Es ist jedem zu ermöglichen, so lange zu leben, wie er will, aber es sollte niemand zum Leben verpflichtet werden, vor allem nicht durch psychischen Druck.

Wir sind nicht der Herrscher über Leben und Tod, dieses Stück der Fremdbestimmung müssen wir anerkennen. Wann ein Leben wirklich zu Ende geht, liegt nicht in unserer Hand, und deshalb sollten wir anderen Menschen damit keine Bürde aufbinden, die für sie zur Last wird. Der Tod gehört zum Leben und auch der Tod anderer, selbst wenn für uns mit einem solchen Schicksalsschlag das Leben weitergehen muss. Dem müssen wir uns unterwerfen.