Ich hatte schon vor vielen Jahren von dem Buch »Miteinander reden« von Friedemann Schulz von Thun gehört, aber es fälschlicherweise in eine Kategorie mit »Wie man Freunde gewinnt« gesteckt und dachte immer, es sei ein Ratgeber für Gesprächsführung. Aber völlig falsch. Ich hatte mir letztes Jahr alle vier Bände gekauft und bin absolut begeistert.

Bei den Büchern handelt es sich nicht um Ratgeber, die ideale Kommunikationsformen und -regeln vorlegen, sondern die Werkzeuge zum Verständnis und zur Analyse der Kommunikation bieten. Der zweite und dritte Band behandeln daher viele Aspekte der menschlichen Psyche und ich habe durch die Bücher auch sehr viel über mich selbst gelernt, weil Beispiele und Gedanken im Text mich über mich selbst und über erlebte Situationen haben reflektieren lassen.

Die Bücher sind also eher zur »Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung« der Komplexität von Kommunikation auf der einen Seite und für die »Repertoire-Erweiterung« für Kommunikation auf der anderen Seite zu verstehen. So wird man sich des Umstands gewahr, dass es zu leicht zu einer Kommunikationsstörung kommen kann, ohne dass einer der beteiligten bewusst und aktiv dazu beigetragen hat. Viel öfter führen die Rahmenbedingungen, genauso wie die innere Verfassung der Kommunikationspartner zu Missverständnissen.

Deshalb habe ich die Bücher auch nicht in kurzer Zeit gelesen und auch zeitweise einige Wochen dazwischen liegen gelassen, um in Ruhe über die Aussagen nachdenken zu können. Also zum Lesen wirklich Zeit einplanen und keinen fluffigen Wochenendschmöker erwarten.

Grobe Inhaltsübersicht

Erster Band: Störungen und Klärungen

Im ersten Band wird die Vielschichtigkeit von Kommunikation analysiert und ein Modell für die Analyse (nicht als Handlungsvorlage) der gleichzeitigen Kommunikation auf vier Ebenen vorgeschlagen: Sachebene, Beziehungsebene, Appellebene und Selbstoffenbarungsebene. Jede Botschaft trägt zu unterschiedlichen Anteilen Informationen auf diesen vier Ebenen und jeder Sprecher und jeder Hörer gewichtet diese Ebenen verschieden.

Missverständnisse können also schon daher rühren, dass der Sprecher mit einem anderen »Schnabel« (auf einer anderen Ebene) spricht, als sein Gegenüber ihm sein »Ohr« (für eine andere Ebene) hinhält. Technisch ausgedrückt liegen Sender und Empfänger nicht auf derselben Wellenlänge und es kommt zu Empfangsstörungen.

Zweiter Band: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung

Im zweiten Band wird für die Kommunikation die Interaktion zwischen Sender und Empfänger als System betrachtet: Welchen Nutzen ziehen Sender und Empfänger aus der Kommunikation, in welchen (Macht-)Beziehungen befinden sie sich zueinander und welche äußeren Einflüsse wirken auf die Kommunikation? Mancher Streit zwischen Paaren dient genau der Stabilität, weil er eine verdeckte Form der Zuwendung ist.

Mit dem Modell der »offenen und verdeckten Kommunikation« wird analysiert, welche nicht direkt erkennbaren oder unbewussten Nachrichten bei einer Kommunikation übermittelt werden können: Ein störendes und aggressives Verhalten mag verdeckt ein Ruf nach Aufmerksamkeit sein. Das Gesagte oder eine Handlung mag ein ganz anderes Ziel verfolgen, als es augenscheinlich kundgetan wird.

Zur Erklärung der äußeren Wirkung und einer unausgeglichenen, unangepassten Kommunikation wird das Modell vom Werte- und Entwicklungsquadrat vorgestellt: Jede Tugend bzw. jeder Wert hat einen Gegenwert und beide können jeweils zu »Untugenden« verkommen; zum Beispiel Sparsamkeit ggü. Großzügigkeit und Geiz ggü. Verschwendung. Fehlende innerliche Balance liegt oft daran, dass ein gewisser Wert zu schwach ausgebildet ist und somit den Gegenwert ins Negative abgleiten lässt, woraus sich für die Persönlichkeitsentwicklung eine Richtung bestimmen lässt.

Dann werden sieben Persönlichkeitsstile anhand ihrer Kommunikation erläutert.

Dritter Band: Das »Innere Team« und situationsgerechte Kommunikation

Der dritte Band ergründet die Persönlichkeit in Form eines inneren Teams. Jeder Mensch ist nicht klar und eindeutig und tritt auch nicht in jeder Situation gleich auf. Vielmehr ist er eine Mischung aus unterschiedlichen Stimmen, die ihn handeln lassen und prägen: Bedürfnisse, moralische Vorstellungen, Wesenszüge geprägt in der Vergangenheit. Daher kann es zu einem inneren Zerwürfnis kommen: vielleicht ringen ein strenger Prinzipienreiter, ein empathischer Helfer und ein gekränktes Kind miteinander um eine gemeinsame Position.

Unter dem Blickwinkel einer vielgestaltigen inneren Teamaufstellung, deren Teilnehmer in unterschiedlicher Vehemenz und von verschiedenen Positionen (Vorder-, Hinter-, Untergrund) eingreifen und versuchen den Teamleiter zu beeinflussen, ergeben sich unterschiedliche Persönlichkeiten und ihre Aktionen und Reaktionen in der Kommunikation.

Aus dem Ansatz, es handele sich um ein Team, werden auch Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentwicklung abgeleitet, die aus klassischen Maßnahmen zur Teamentwicklung bekannt sind.

Es entwickelt sich das komplexe und vielschichtige Bild von Kommunikation, wie man ihr im wahren Leben begegnet und es wird deutlich, dass man nicht leicht an nur einem Schräubchen drehen kann.

Vierter Band: Fragen und Antworten

Der vierte Band fügt dem Methodenkoffer keine neuen Elemente hinzu, sondern bildet einen runden Abschluss über alle Themen, eine Art »… und was ich sonst noch sagen wollte«. Daher passt auch gut der Stil des Frage-Antwort-Dialogs als fiktives Interview des Autors, da eben keine neuen Themen erläutert, sondern Erkenntnisse und Erfahrungen zu den Themen der vorangegangenen Bände dargelegt werden.

Über die Jahre, seit Entstehen des ersten Bandes, hat der Autor noch weitere Möglichkeiten der Nutzung seiner Methoden und einen weitreichenderen Blick beim Einsatz erkannt. Zum Teil sind es kleine Ergänzungen und Konkretisierungen der ursprünglichen Methoden, aber an einigen Stellen verlässt der Autor auch die psychologische Ebene und dehnt die Anwendung der Methoden auf die philosophische Ebene aus:

Wir sind dem Leben und unserem Schicksal weitgehend ausgeliefert. Was uns von innen (Gesundheit/Krankheit) und von außen (Schicksal/Schicksalsschläge) widerfährt, liegt zum großen Teil nicht in unserer Hand. Schon unsere Geburt als Mensch […] lag nicht in unserer Hand. Und dass wir sterben werden, liegt nicht in unserer Hand – und vieles dazwischen auch nicht.

Denn auch für das Themenfeld »Demut und Selbstwirksamkeit« auf der positiven Ebene und »Opfermentalität ggü. Omnipotenzwahn« auf der negativen Ebene kann man das Wertequadrat aufstellen und damit die Stellung des Menschen im Universum veranschaulichen und untersuchen. Schön ist die Unbefangenheit, mit der im vierten Band die Verbindungen zum praktischen Leben gezogen werden, sodass es eben nicht nur um Kommunikation, sondern auch um das Leben geht:

Welche Gefühle und Reaktionen Sie auch immer haben: Es sind Ihre Gefühle, und Sie sollten die »politische Verantwortung« dafür übernehmen.

[…]

Der andere löst diese Gefühle nur aus, er macht sie nicht – so viel Macht hat er nicht über uns, es sei denn, wir geben sie ihm.

Der vierte Band lohnt also die Lektüre, wenn man noch etwas mehr erfahren will oder auch hier und dort mit einigen Methoden hadert und sich fragt »warum?«, denn zu vielem werden die Entstehungsgeschichte und die damaligen Überlegungen geliefert. Am Ende des Buches kommt noch eine persönliche Note des Autors hinzu, indem er auf einigen Seiten seinen persönlichen Wertegang und Erfahrungen aus persönlichen Beziehungen darlegt und analysiert.