… wenn über reiche1 Leute der Kopf geschüttelt und gesagt würde: »Die haben es leider nicht geschafft, ihr Können in Freude zu verwandeln, sondern müssen für später ihre Leistungen in Form von Vermögen zwischenlagern.« Reichtum gölte dann nicht mehr als erstrebenswert, sondern als eine Zwischenstufe auf einem unvollendeten Wege, und eben die, die den Reichtum anhäuften, wären stehengeblieben und nicht in der Lage, den Weg zu Ende zugehen.

  1. Als Reichtum sehe ich Vermögen von mehr als zehn Millionen Euro an, welches ein Mensch in 80 Jahren bei einem genügsamen Lebensstil nie aufbrauchen kann. 

So wie früher einmal Adlige angesehene Leute waren, vor denen jedermann – qua ihrer Stellung – den Hut zog, so könnte sich auch die Bewunderung des Reichtums auf ein paar Leser illustrierter Zeitschriften reduzieren, weil Reichtum materielle Werte in der Hand, aber keine immateriellen Werte im Herzen und im Geiste repräsentiert. Ein reicher Mensch, hat es geschafft, einen Wert in die Hand zu bekommen, aber es noch nicht geschafft, ihn im Herzen zu tragen.

Die Anerkennung von Reichtum würde genauso an Wert verlieren, wie die Anerkennung von Königen, Fürsten und Herzögen geschwunden ist, denen einstmals eine Besonderheit aufgrund ihrer Abstammung zugesprochen wurde, doch worin heute niemand mehr einen Wert erkennt, denn der Akt der Geburt lässt einen Menschen nicht unter allen anderen herausragen.

Ein reicher Mensch wäre dann vielmehr jemand, der mit sich selbst noch nicht im Reinen ist und der immer noch den Tod fürchtet, da ihm die Erkenntnis zum Vertrauen in die Welt fehlt, und der sich daher – über die Maßen1 – absichern will. Ein reicher Mensch wäre auch noch der Illusion der Unendlichkeit seiner Macht verfallen, weil er die Grenzen seiner Wirkmächtigkeit noch nicht erkannt hat und mit der Fremdbestimmtheit seiner Existenz nicht umgehen kann.

  1. Es geht um mehr als zehn Millionen Euro. 

Die Grenzen des Menschen

Wenn ein Mensch durch Tod oder Krankheit die Grenzen seiner Wirkmächtigkeit erfährt, wenn ihm mit dieser Absolutheit verdeutlicht wird, dass er nicht alles Erreichen kann, was er will, dann kommt die Erkenntnis, dass es noch mehr als seiner selbst in dieser Welt gibt. Dann kann sich der Mensch wirklich transzendieren und seine Grenzen durch Anerkennung dieser überwinden.1 Ihm können dann Empfindungen und geistige Erfahrungen zu Teil werden, die nicht in seinem Handeln begründet liegen, sondern die er mit der Welt und anderen Menschen teilt. Er kann die Schönheit der Natur erkennen und sie spüren.

  1. Als Vergleich mag hier eine Autorennbahn dienen, an deren Außenmauer man ewig im Kreise fahren kann und sich unendlich frei fühlt. Aber erst wenn man auf die Mauer steigt und die Grenze nach rechts erkennt, kann man erkennen, dass es noch viel weiter geht. Ähnlich wie Platons Höhengleichnis. 

Doch dafür ist es wichtig, die Erfahrungen und Empfindungen zu erleben, materielle Werte zu schaffen und diese in immaterielle Werte zu transformieren.

Ein bisschen Realität

Bei Reichtum muss man immer vorsichtig sein, was bewertet wird. Vermögenswerte sind oft gebundene Werte als Immobilien oder Anteile einer Firma. Diese sind meist auch für die Eigentümer nicht nutz- oder wandelbar, weil ein Verkauf aus strukturellen Gründen nicht möglich ist. Solcher Besitz schafft dann keine Handlungsmöglichkeiten und ist viel eher die Übernahme der Verantwortung für das Objekt. Teilweise sind Eigentümer nicht für ihren Besitz, sondern ihre Kraft des Erhalts zu bewundern.

Wenn es also um die Entmystifizierung von Reichtum geht, sollte man überlegen, ob das was im ersten Atemzug bewundert wird, überhaupt der Bewunderung wert ist – genau das Hinterfragen des Wertes, das ich oben zugrunde gelegt habe. Ein Millionär verdient nicht aufgrund seines Vermögens mehr Bewunderung als ein anderer Mensch – viel eher die Bedauerung, dass er nicht in der Lage ist, sein Vermögen freudebringend zu nutzen.