Bisher war mir Erich Kästner nur als Autor von Emil und die Detektive, Das fliegende Klassenzimmer und anderen Kinderbüchern ein Begriff. Ich hatte aber schon vor vielen Jahren die Gedichtssammlung Kennst Du das Land, wo die Kananonen blühen geschenkt bekommen und jetzt endlich mal einen Blick hinein geworfen … und ich war sehr erstaunt, welche gesellschaftskritischen Texte er geschrieben hat. Viele davon sind eine deutliche Kritik an Politik, Gesellschaft und Kirche und bei so manchem Gedicht kann man darunter schreiben »so ist es heute noch«. Jedoch klingt für mich auch in so manchen Gedichten eine Verbitterung heraus, die sicher von den Erlebnissen des 1. Weltkriegs und der Ächtung Kästners Werke als entartete Kunst durch die Nazis herrührt.
Da die Nachlassverwalter von Kästner keine Zitierung im Internet wünschen, verweise ich hier nur auf einige Texte, die mir gut gefallen:
- Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühen? Wikipedia-Eintrag dazu
- Fantasie von übermorgen
- Weihnachtslied, chemisch gereinigt; Wikipedia-Eintrag dazu
- Brief an den Weihnachtsmann; gekürzte Fassung
- Große Zeiten
In dem Buch ist auch das Gedicht Ragout fin de siècle über die Homosexellen- und Transgenderbewegung der damaligen Zeit, das ich persönlich als Schwuler in der heutigen, liberaleren Zeit unangebracht finde, aber es spiegelt genau den Charakter der 1930er Jahre wider.
Heine: Zur Beruhigung
Das Gedicht Große Zeiten hat mich auch sehr stark an das Gedicht Zur Beruhigung von Heinrich Heine erinnert, das ich zu Schulzeiten gelernt habe:
Zur Beruhigung
Wir schlafen ganz, wie Brutus schlief – Doch jener erwachte und bohrte tief In Cäsars Brust das kalte Messer! Die Römer waren Tyrannenfresser.
Wir sind keine Römer, wir rauchen Tabak. Ein jedes Volk hat seinen Geschmack, Ein jedes Volk hat seine Größe; In Schwaben kocht man die besten Klöße.
Wir sind Germanen, gemütlich und brav, Wir schlafen gesunden Pflanzenschlaf, Und wenn wir erwachen, pflegt uns zu dürsten Doch nicht nach dem Blute unserer Fürsten.
Wir sind so treu wie Eichenholz, Auch Lindenholz, drauf sind wir stolz; Im Land der Eichen und der Linden Wird niemals sich ein Brutus finden.
Und wenn auch ein Brutus unter uns wär', Den Cäsar fänd er nimmermehr, Vergeblich würd er den Cäsar suchen; Wir haben gute Pfefferkuchen.
Wir haben sechsunddreißig Herrn (Ist nicht zuviel!), und einen Stern Trägt jeder schützend auf seinem Herzen, Und er braucht nicht zu fürchten die Iden des Märzen.
Wir nennen sie Väter, und Vaterland Benennen wir dasjenige Land, Das erbeigentümlich gehört den Fürsten; Wir lieben auch Sauerkraut mit Würsten.
Wenn unser Vater spazierengeht, Ziehn wir den Hut mit Pietät; Deutschland, die fromme Kinderstube, Ist keine römische Mördergrube.