Bei nebenan.de hatte jemand in einen Beitrag kreativere, mutigere Corona-Maßnahmen gefordert. Dieser Verstärkung der Maßnahmen wollte ich entgegentreten, denn die Regeln zur Vermeidung/Umgehung der Probleme sind schon beeinträchtigend genug. Wir müssen uns endlich mit dem Problem der Endlichkeit des Lebens und der Begrenztheit des Menschen auseinander setzen:

Interessant finde ich, dass Du Deinen Beitrag mit »bitte bleibt alle gesund« abschließt. Nicht mit dem Wunsch »möget ihr gesund bleiben«, sondern mit dem Imperativ »bleibt«, also der Aufforderung es zu tun. Gesundheit oder eine Krankheit ist nichts, das man sich aussucht und dem man gewollt zustimmt. Vielmehr, so deute ich es jetzt mal, spricht aus diesen Worten die Aufforderung »Wenn Du Dich nur genug anstrengst, kannst Du alles erreichen«, die neoliberale Allmachtsfantasie. Wo uns doch gerade die jetzige Situation lehrt: Wir als Menschen sind nicht allmächtig. So sehr wir uns auch bemühen mögen und so viel wir auch erreichen können, aber es gibt Grenzen, die auch wir nicht überschreiten können.

Daher wäre es viel besser, diese Grenzen anzuerkennen und das Leben daran auszurichten. Gerade in der jetzigen Zeit, wo ganz schnell ein Mensch von uns gehen kann, zeigt sich, wie wichtig es doch ist, die Zeit mit ihm zu genießen und sein Leben zu leben und es nicht am Unendlichkeitsversprechen der Medizin auszurichten. Jeder wird für sich selbst eine Antwort auf die Frage nach dem, was ihn im tiefen Herzen erfüllt, das was ihm Ruhe und Zufriedenheit verschafft, finden. Denn auch in normalen Zeiten kann das Leben unerwartet ein Ende finden.

Vielleicht ist gerade diese Zeit ein Weckruf, sich selbst mit der Frage zu beschäftigen, was denn Zufriedenheit gibt. Denn auch wer diese Frage vor sich herschiebt, irgendwann kommt sie als »Habe ich ein erfülltes Leben geführt? Habe ich den Frieden in mir gefunden?« – nur dann ist die Zeit für die Erfüllung vieler Wünsche meist vorüber.

Wir müssen einfach heute akzeptieren, dass die Welt vielfältig und damit komplex geworden ist und nicht in allen Teilen beherrscht werden kann – eben das Anerkennen unserer Endlichkeit und einem gewissen Grad an Fremdbestimmung.

Daher halte ich diese Aufforderungen an andere »Strengt Euch noch mehr an«, »Findet noch bessere Wege« für nicht zielführend. Es spricht daraus nur die nackte Angst ums eigene Überleben, damit man doch noch mehr Zeit hat, um irgendwas zu tun. Wenn es einem wichtig ist, dann sollte man es zeitnah tun, denn das Ende kann (auch ohne Corona) schon morgen sein.

Viele der gegenwärtigen Empfehlungen sind geprägt vom technokratischen Narrativ unserer Zeit; Infektions-Zahlen, Erkrankungens-Quoten, Abstände messen, Barrieren/Grenzen errichten. Wir träumen davon, das Leben vermessen, strukturieren und kontrollieren zu können, und verlieren dabei die Fähigkeit, die Unwägbarkeiten des natürlichen Lebens zu ertragen und auszuhalten. Geprägt von dem Wunsch nach einfachen, leicht handhabbaren Bedienungsanleitungen verlieren wir die Resilienzfähigkeit und verdrängen die Komplexität der Natur – die dann in die Monokultur des Regelwerks umso erbarmungsloser hineinschlägt.

Ein gewisser Grad an Regulierung ist der Garant für das angenehme Leben, das wir führen. Aber zu viele, zu ausufernde Regelungen führen einfach dazu, dass wir das Leben nicht mehr leben, sondern nur noch existieren und wie Maschinen agieren. Jeder mag für sich auf der Skala von Freiheit und Regelungen seinen Standpunkt finden. Dennoch sollten wir allen die Freiräume und die Würde lassen, ihr Leben zu leben.

Ich hoffe, ich konnte dem Blick auf die gegenwärtige Lage noch eine andere Perspektive hinzufügen und eben der Vereinfachung der Welt, der Komplexitätsleugnung, entgegentreten. In diesem Sinne wünsche ich allen beste Gesundheit und dass sie möglichst sorgenfrei durch diese Zeit kommen.

Jemand anderes hat in der Folge noch seine Meinung mit »Corona-Viren gab es schon immer« gepostet und daraufhin sprang jemand anderes in die Diskussion, der, meiner Meinung nach, auf typische Weise unsere beiden Beiträge für dümmlich und falsch erklärt hat und somit der Diskussion nicht würdig.

Dies hier ist meine Antwort auf den Beitrag:

An diesem Verlauf hier zeigt sich meiner Meinung nach sehr gut, das – aus meiner Sicht – schwerwiegendere Problem: Eine Person K. liefert einen Beitrag, worauf eine Person J. einen Gegenbeitrag bringt und eine Person A. ebenfalls seine Meinung äußert. Daraufhin erklärt Person M. dass J. und A. nicht ernstzunehmen sind und Verschwörungstheorien anhängen. Wenn man sich dies einfach mal abstrakt vor Augen führt und eventuell auch andere Themen einsetzt, sagen wir mal »Pro/Contra Gleichberechtigung«, dann merkt man sehr schnell, dass etwas an der Art und Weise des Umgangs nicht mehr stimmt.

Seit Jahren schon geht die Fähigkeit verloren, andere Meinungen zu ertragen. Noch schlimmer: Es wird eine absolute Übereinstimmung gefordert; wer nicht dafür ist, ist raus. Vegetarier ja/nein, Klimaschützer ja/nein – ein »ich kann mir das nicht vorstellen« gibt es nicht und derjenige ist raus. Das Wahrheit schon seit Jahrtausenden ein Kontinuum zwischen 0% und 100% ist, wird völlig übergangen. Das Prinzip von These trifft Antithese und kommt zur Synthese wird über den Haufen geworfen und alles ständig zur Abstimmung mithilfe von Likes/Danke gemacht.

Ein Grund dafür mag die allgemeine Geschwindigkeit des Lebens sein, die verlangt, immer effizienter Entscheidungen zu fällen. Da ist es dann leichter für oder gegen etwas zu sein, denn eine Diskussion braucht Zeit. Dadurch werden aber auch immer harte Grenzen gezogen und jeder findet sich entweder auf der richtigen Seite oder ausgegrenzt. Das dieses Gefühl von Ausgegrenztsein und Nicht-Beitragen-Können zu Frustration führt, ist nachvollziehbar.

Also das, woran schon seit Jahren mit dieser Polarisation, der einzig gültigen Meinung und »Alternativlosigkeit« (z.B. to big to fail) gesägt wird, ist der Ast unseres Zusammenlebens, die Fähigkeit andere zu akzeptieren und Kompromisse auszuhandeln.

Mein Beitrag oben richtete sich genau gegen diese Vereinheitlichung und warb für mehr Ruhe und Selbstwahrnehmung, also die Reflexion über die eigenen Bedürfnisse. Was als Reaktion darauf kam: nein, Kais Meinung ist richtig, alles andere führt zu mehr Infektionen, Schulschließungen und Arbeitslosigkeit. Das Gegenargument wurde als nichtig und die Diskussion als nicht würdig erklärt.

Bemerkenswert daran ist, dass auch immer gern der Vorwurf kommt, die Sichtweise der anderen sei zu laienhaft und einfach, im gleichen Atemzug wird aber eine monokausale Kette von »2 Forumsbeiträge → harter Winter → steigende Infektionszahlen → Geschäftsschließungen → Arbeitslosigkeit« vorgelegt. In dieser Argumentation stecken so viele unausgesprochene Hypothesen und unkontrollierbare Einflussfaktoren, dass es schwerfällt, darin nicht die bei anderen gegeißelte Vereinfachung der Argumentation zu sehen. Die Fehler in der Methodik, die man anderen vorwirft, begeht man selbst. Mir geht es in diesem Punkt nicht im die sachliche Frage, sondern um die Methodik, also die Metaebene. Der Fehler, dass die Kategorien Sachebene, Metaebene miteinander vermischt werden, kommt nämlich auch gern: »darüber rede ich nicht, da sterben Menschen«, »wenn du hier diskutierst, bist du dagegen und ich will nicht krank werden« – das sind Gefahren für die Diskurskultur.

Was mich an diesen Argumentationen à la »2 Beiträge → … → Arbeitslosigkeit« auch immer sehr verwundert, ist diese Zwangsläufigkeit, die den Prozessen unterstellt wird – dieses riesige Problem die Welt als simpel anzusehen. Soll denn wirklich, jetzt mal umgekehrt gesprochen, das System so fragil sein, dass zwei abweichende Meinungen zum Zusammenbruch führen? Mit der Denkweise, dass Prozesse deterministisch und monokausal verlaufen, kann ich mir dies erklären. Aber das ist eine Bankrotterklärung an das System, wenn es so wenig Resilienz besitzt, dass es nicht auch Abweichler und Andersdenkende tolerieren/aushalten kann.

Und genau das ist es, was ich in meinem Beitrag angesprochen habe: Die jetzige Zeit und das Verhalten der Gesellschaft muss uns zu denken geben. Wir gehen viel zu oft mit zu einfachen Denkmustern an die Betrachtung der Welt heran und lassen uns von Werten wie schneller, höher, weiter treiben. Vielmehr müssen wir die Komplexität (Vielfalt) der Welt anerkennen und lernen, diese zu ertragen – andere Meinungen, Aussehen, Interessen und Orientierungen zu tolerieren.

Diese Ansicht »Ihr habt jetzt alle mal zu gehorchen und im Gleichschritt zu folgen, ansonsten seid ihr raus« hinterlässt viele Leute, die sich ausgegrenzt und abgehängt fühlen, und das erzeugt Frust, Frust der dazu führt, dass sie sich anderen Führern zuwenden, denen sie folgen dürfen. Diesen ausgegrenzten Menschen würde ich auch eher den Wunsch nach einfachen Antworten unterstellen, sodass sie erst recht bei der Führersuche Leuten mit einfachen, schrägen Erklärungen hinterherlaufen.

Die Leute, die so absolut (und toleranzlos) für Corona, Klima, Gleichberechtigung u. s. w. kämpfen, hinterlassen mit ihren gut gemeinten Absichten viel mehr einen Boden, der Gruppierungen mit rückwärts gewandten Interessen gute Nahrung bietet.

Die Diskussion ging dann weiter und der Angesprochene empfand meinen Beitrag so, dass ihm »Wörter in den Mund legt, um ihn zu diskreditieren«. Ich habe wirklich seine Aussage »Leider sieht man ja direkt wieder zwei Beispiele, warum es ein harter Winter werden wird.« dahingehend interpretiert, dass er in dem anderen Teilnehmer und mir Querulanten sieht, die die vorherrschende Meinung untergraben und die zu schweigen haben. Genau das war mein Ansatz für die Kritik an fehlender Diskurskultur.

Mein Eindruck in der Diskussion ist auch, dass der eine Teilnehmer sehr hin und her schlingert und ihm überhaupt nicht bewusst ist, ob er gerade über die Sache (Corona) oder die Methodik (Umgangskultur) spricht und beides auch wild miteinander verknüpft.

Ich sprach nicht von Meinungen, sondern vom Diskurs. Dazwischen gibt es einen Unterschied. Meinungen zu äußern, dienen dazu einen Diskurs zu führen. Aber zum Diskurs gehört auch, dass Meinungen angehört und toleriert werden. Genau das war auch mein Wunsch in meiner ersten Nachricht: Dass bitte mehr Rücksicht und Respekt den Anderen entgegen gebracht wird – witziger Weise fordert das gerade Gruppe A beim Thema X, aber bietet es nicht beim Thema Y.

Der Vorteil an Diskussionen auf der Metaebene ist ja, dass man leicht die Methodik mit einem anderen Thema auf der Sachebene prüfen kann. Beim Thema Tempolimit auf Autobahnen verlaufen Diskussionen ähnlich: Entweder 130 oder offen und höchstens werden die Argumente gestapelt, die für oder gegen das eine oder das andere sprechen, aber von einem Vorschlag 160 km/h wird selten gesprochen. Wie gesagt, das geht mit Gleichberechtigung, Abtreibung, Homosexuellenrechten, Klimaschutz und vielen Themen genauso weiter: »Sind wir in der Lage, andere Meinungen zuzulassen und versuchen andere Leute mit Meinungsangeboten zu gewinnen oder brauchen wir viel öfter den Befehl für die schnelle Reaktion?«

Man findet an vielen Stellen eine messerscharfe Trennung zwischen ja und nein, obwohl Themen wesentlich komplexer als bipolar sind. Das Ergebnis sind leider oft Leute, die sich ausgegrenzt und »abgehängt« fühlen und sich dann anderen Führern zuwenden, bei denen sie Anerkennung finden. Ob solch ausgrenzende Haltungen langfristig förderlich sind, wird die Zeit zeigen, ich habe da so meine Bedenken. Daher auch mein Wunsch nach einer besseren Diskussionskultur, als sie gegenwärtig bei vielen Themen zu beobachten ist.