Eine veränderte Bedeutung von Leistungskontrollen
Der Charakter einer Information oder Sache wird häufig von der Erzählung (der Umrahmung, dem Narrativ) beeinflusst, in der sie präsentiert wird; dies bezeichnet man als Framing. Mit der passenden Erklärung kann für eine Sache beim Gegenüber eine positive oder negative Wirkung hervorgerufen werden. Ein oft negativ empfundener Moment in der Schule sind Leistungskontrollen, die für Schüler häufig den nachteiligen Charakter einer Bewertung oder Überwachung ihrer Person haben, was instinktiv Angst und negative Gefühle auslöst. Daher wäre es besser, der Leistungskontrolle einen Rahmen zu geben, der einen positiven Charakter vermittelt.
Wenn diese Momente im Lernverlauf nicht als Punkte der Personenkontrolle, sondern der Prozesskontrolle geprägt werden, entsteht ein angenehmeres Bild. Der Unterricht kann als eine Kommunikation von Lehrer (Sender) und Schüler (Empfänger) betrachtet werden, bei dem der Lehrer versucht, seine Kenntnisse (Wissen und Kompetenzen) dem Schüler zu vermitteln (zu senden/übertragen). Das Ziel des Lehrers ist es den Kenntnisstand des Schülers auf ein bestimmtes Niveau zu bringen.
Lehrer Schüler
+ | Zeit
|\- | |
| \- | v
+- \- |
| \- \- |
| \- \-| ^ Kenntnisstand
+- \- \ |
| \- \- | Stoffvermittlung |
| \- \+ | /- Note 1
| \- | | /-
| \- | | /-
| \+ | /-
| -+ Leistungskontrolle | /-
| -/ | | /-
| -/ | | /-
| -/ | | /-
| -/ | |/-
+/ | +------------------ Note 6 = Ausgangsniveau
+ | |
|\- | +-----------------|-------------> Zeit
| \- |
| \- | Stoffvermittlung Leistungskontrolle
| \- |
+- \-|
| \- + Stoffvermittlung
| \- |
| \- |
| \- |
| \+
| -+ Leistungskontrolle
| -/ |
| -/ |
| -/ |
| -/ |
+/ |
Der normale Unterricht ist dabei eine unidirektionale Kommunikation des Stoffs vom Lehrer zum Schüler. Im Verlauf des Prozesses ist es wichtig, dass sich beide Parteien regelmäßig abstimmen (synchronisieren), ob ein gewisser Kenntnisstand erreicht wurde oder der Prozess ggf. angepasst werden muss.
In diesem Sinne ist also eine Leistungskontrolle ein Synchronisationspunkt im Lernprozess, an dem Schüler dem Lehrer zurückmelden, welche Kenntnisse bei ihnen angekommen sind.[^](Bei TCP wäre das mit ACK-Meldungen vergleichbar.) Daher bezieht sich die Bewertung nicht auf die Person des Schülers (dieser muss sich nicht schämen), sondern auf den Fortgang des Prozesses – wobei Schüler und Lehrer als aktive Elemente des Prozesses den Fortgang beeinflussen.
»Wir haben ein gemeinsames Ziel und müssen immer wieder prüfen, wie weit wir gekommen sind und ob wir einen gemeinsamen Kenntnisstand haben.«
Einem Schüler gibt das Ergebnis einer Leistungskontrolle eine Rückmeldung über seine Kenntnisse im Vergleich zu einem verbindlichen Maßstab und einem Lehrer gibt das Ergebnis einer Leistungskontrolle eine Rückmeldung darüber, wie weit die Schüler gekommen sind. Für beide ist es sozusagen ein Realitätsabgleich: eine Abstimmung zwischen der inneren Wahrnehmung (Ist) und dem äußeren Anspruch (Soll).
Daher sollte die Konsequenz einer schlechten Bewertung eigentlich die Wiederholung des Stoffgebiets sein: Für den Schüler individuell oder für den Lehrer bei einem schlechten Gesamtdurchschnitt. – Ich habe aber noch nie gehört, dass das irgendwo passiert, wodurch auch das Bild vermittelt wird, dass der Fortschritt in der Verantwortung des Schülers liegt und damit die negative Interpretation entsteht.
Die Gründe für schlechte Ergebnisse sollten aber besser auf Prozessebene gesucht werden: einerseits könnten die Prüfungsfragen nicht zum Stoff passen – struktureller Fehler – oder andererseits könnte der Stoff nicht angemessen vermittelt worden sein. Zu einem solchen Übertragungsfehler vom Sender (Lehrer) zum Empfänger (Schüler) könnte es kommen, wenn beide nicht auf der selben Wellenlänge liegen, weil entweder der Sender eine Frequenz nutzt, auf die der Empfänger nicht eingestellt ist (der Lehrer spricht von böhmischen Dörfern) oder die der Empfänger nicht beherrscht (mangelnde Voraussetzungen des Schülers). Der Fall, dass der Empfänger abschaltet, ist eher struktureller Natur und kann nicht kommunikationstheoretisch geklärt werden.
Aus der zweiten Ursache für einen Übermittlungsfehler ergibt sich auch die zweite Funktion von Klassenarbeiten und Abschlussprüfungen. Während die einfache Leistungskontrolle der Rückmeldung zum Lehrer dient, haben größere Leistungskontrollen auch die Funktion von lehrer-, fächer- und schulübergreifenden Synchronisationspunkten. Mit einem neuen Schuljahr kann ein Lehrer anhand der vorangegangenen Klassenarbeiten sehen, auf welchem Kenntnisniveau er aufbauen kann. Ebenso spiegeln Abschlussprüfungen das Kenntnisniveau für eine andere Schule, die Universität oder ein Unternehmen wider.
Deshalb sind Leistungsbewertungen in einer standardisierten Form, egal ob mit Noten oder Worten, notwendig, um die gesellschaftliche Mobilität ermöglichen zu können. In kleineren Gemeinschaften kann der Schuster mal eben den Lehrer fragen, ob ein Schüler als Lehrling geeignet ist oder er weiß es bereits. Für Bewerbungen quer durch Deutschland ist aber eine Form der normierten Abstimmung notwendig, damit der neue Lehrer weiß, auf welchem Kenntnisstand er aufsetzen kann. Oder der neue Lehrer muss Aufnahmeprüfungen und Eignungstests durchführen, wenn die Bestimmung des Kenntnisstands nicht vorliegt oder nicht aussagekräftig ist.
Digitalisierung
Mithilfe der Digitalisierung wäre es denkbar, die Häufigkeit und Granularität der Rückmeldungen zu erhöhen, um den Abstand von Soll-Ist nicht zu groß werden zu lassen.
Da digitale Kommunikation sehr leichtgewichtig seien kann, könnte man damit auch ein subjektives Rückmeldesystem aufbauen, sodass Schüler frühzeitig dem Lehrer signalisieren können, dass sie etwas nicht verstanden haben. Im einfachsten Fall könnte dies eine Kurznachricht per Messanger nach dem Unterricht über Verständnisprobleme und Rückfragen zum Stoff sein.
Idee für die Praxis
Im folgenden möchte ich eine Idee präsentieren, wie Leistungskontrollen etwas anders gestaltet werden können, um die Anforderungen und Möglichkeiten der Digitalisierung besser zu berücksichtigen. Klassenarbeiten sollten aber weiterhin dem herkömmlichen Schema folgen, da auch die Abschlussprüfungen in absehbarer Zeit nicht digital (in meinem Sinne) werden.
Analysefähigkeit: Schüler kontrollieren Arbeiten
Da sich mit der Digitalisierung die Welt immer schneller verändert und die Möglichkeiten immer vielfältiger werden, ist aus meiner Sicht eine entscheidende Fähigkeit, sich immer wieder leicht in neue Systeme einarbeiten zu können. Für die digitale Welt ist eine wichtige Kompetenz, sich schnell in andere Ideen und Gedankengänge einzufinden, diese analysieren und verstehen zu können.
Eine Idee ist daher, dass häufig (z. B. wöchentlich) Leistungskontrollen durchgeführt werden. Im Falle des Mathematikunterrichts könnten dies Aufgaben zur Berechnung sein. Im Anschluss tauschen aber die Schüler die Arbeiten untereinander aus und korrigieren sie anhand einer gegebenen Musterlösung. Am Ende werden die korrigierten Arbeiten eingesammelt und diese vom Lehrer überprüft. Der Lehrer kann dann auf Details (z. B. falsche mathematische Schreibweise) eingehen und ggf. ungeklärte Fälle korrigieren.
Die Arbeit besteht somit aus zwei Teilen: der eigenen Lösung der Aufgaben und der Korrektur einer anderen Arbeit. Somit müssen sich die Schüler intensiver mit dem Stoff auseinander setzen, denn sie müssen einerseits die Gedankengänge des anderen Schülers verstehen und diese auf Korrektheit prüfen, also ihr Wissen mit den vorliegenden Lösungen abgleichen. Durch die Musterlösung mit den Benotungspunkten lernen die Schüler auch indirekt, welche Schritte bei den Lösungen wichtig sind und worauf genau sie beim Unterrichtsstoff zu achten ist, womit sie ihre eigene Lösung auch besser reflektieren können.
Dieses System kann problemlos auch mit Papierarbeiten umgesetzt werden. Bei digitalen Arbeiten gäbe es den Vorteil, den Ablauf über ein Computersystem zu automatisieren, sodass jeder Schüler seine Lösung zum Server überträgt und für die Korrektur eine andere Lösung mit der Lösungsvorlage erhält.
Weniger Faktenwissen gefragt – Alle Hilfsmittel erlaubt
Da es mit dem Blick auf die Digitalisierung nicht mehr um Faktenwissen geht – dafür gibt es Suchmaschinen und die Wikipedia –, könnten in Leistungskontrollen alle Hilfsmittel wie Hefter und Internet zulassen werden. Wichtig – und in den Arbeiten zu prüfen – ist das Verständnis des Stoffs und nicht das Auswändiglernen (Bulimie-Lernen). Vielmehr ist mit den Möglichkeiten der Digitalisierung wichtig, dass Informationen schnell gefunden werden, die nicht zur Hand sind. Die Schüler sollen also bewusst die Möglichkeit haben und nutzen, Fakten während der Arbeit zu recherchieren. Dennoch sollte die Zeit so bemessen sein, dass sie das Wissen voraussetzt.
Durch die Möglichkeit den Hefter nutzen zu können, werden die Schüler auch angehalten, ihren Hefter zu pflegen und ihn so zu strukturieren, dass sie schnell wichtige Informationen finden. Die Fähigkeit Informationen zu strukturieren und zu organisieren ist sehr wichtig für die Digitalisierung, da wir es mit immer mehr Daten zu tun haben, die handhabbar und nutzbar bleiben müssen.
Wenn eh alle Hilfsmittel zugelassen sind, braucht man auch nicht mehr über Sperrmodi von elektronischen Geräten nachdenken und kann somit beliebige Geräte zulassen; Schüler können sich dann für den Unterricht ein Gerät anschaffen, das sie wollen und müssen nicht einer Schulvorgabe folgen.
Denkbar wäre auch, dass der erste Teil der Arbeit als Hausaufgabe erledigt wird. Im zweiten Teil im Unterricht ist anhand der Musterlösung eh kein Faktenwissen gefragt, sodass jeder mit der Korrektur seine Fähigkeit zeigen muss. Ob daheim dann Verwandte oder ein Internetforum genutzt werden oder sehr viel Zeit für die Lösung verwendet wird, ist egal. Wichtig ist: »dass der Schüler in der Lage ist, die Lösung zu ermitteln.« So wie im späteren Leben auch. Dennoch sollte dem Umstand der größeren Möglichkeiten bei dieser Form der Leistungskontrolle bei der Benotung Rechnung getragen werden.
Benotung von Leistungssteigerungen und Kontrollteil
Wenn für ein Themengebiet mindestens drei Leistungskontrollen erfolgen, sollte man auch in der Gesamtbewertung des Schwerpunkts den Umstand einfließen lassen, dass Schüler lernen. Mathematisch betrachtet, sollte die Schwerpunktsnote nicht nur aus dem Durchschnitt der Leistungskontrollen bestehen, sondern zusätzlich der durchschnittliche Anstieg hinzukommen.
Wenn also N1, N2 und N3 die Noten in den Leistungskontrollen sind, so sollte die Gesamtnote sich als (N1+N2+N3)/3 + (N2-N1 + (N3-N2))/2 ergeben.
Wie innerhalb der Leistungskontrolle der zweite Teil, der Kontrollteil, in die Benotung einfließen sollte, weiß ich noch nicht. Dennoch sollte auch dieser in einer standardisierten Form bewertet werden.
Prüfung von alten Themengebieten
Innerhalb einer Leistungskontrolle könnten Aufgaben auch für zurückliegende Themengebiete gestellt werden, die dann wiederum in die Gesamtnote des Themengebiets einfließen. Dies gestaltet zwar die Arbeiten (anfangs) etwas komplex, aber nach einer Eingewöhnungsphase sollte auch dieses Muster keine Verwirrung mehr auslösen.
Eine Leistungskontrolle kann demnach mehrere Schwerpunkte enthalten, wobei jeder Schwerpunkt eine eigene Note ergibt, die dann in die jeweilige Gesamtnote des Themenschwerpunkts einfließt. Die Leistungskontrollen haben also schon die Struktur wie die Abschlussprüfungen.
Auswertung von Kontrollen
Die Notenverteilung der Leistungskontrollen (und Klassenarbeiten) sollten Lehrer und Schüler gemeinsam auswerten. Das Ziel sollte sein, dass der Mittelwert zwischen zwei und drei liegt, sodass Spielraum nach oben (Note 1) und unten (Note 4) gegeben ist, und die Streuung sollte nicht zu groß sein. Ein zu guter Mittelwert ist eher ein Zeichen von Unterforderung, ein zu schlechter Mittelwert ein Zeichen von Überforderung.
Auf diese Weise werden Schüler durch ein realistischen und greifbares Beispiel an Statistik und Datenauswertung herangeführt und ihnen ganz praktisch die Bedeutung von Mittelwert und Varianz vermittelt. Die Betrachtung des Kollektivs sollte auch der Klasse ein besseres Gemeinschaftsgefühl vermitteln. Die individuellen Ergebnisse der Schüler (gar mit Nennung der Namen) sollte nicht geschehen, da nicht Einzelkämpfer an der Spitze zählen, während der Rest hinterher hinkt. (Über die einzelnen Noten können sich die Schüler gern untereinander austauschen.)
Reflexion über die Anforderungen
Bei der Besprechung von Leistungskontrollen mit meinen Nachhilfeschülern fallen mir immer wieder zwei Dinge auf: (1) viele Schüler stecken sich keine Ziele bzw. fordern sich nicht selbst und (2) in der Besprechung von Aufgaben kommt der Aha-Moment, dass die Aufgabe doch nicht so schwer war.
Daher würde ich bei Leistungskontrollen zwei Dinge abfragen: welche Note ist das Ziel. Die Schüler sollen lernen, sich selbst einzuschätzen und in Auswertungen dieser Antwort kann man gezielt schauen, ob Schüler sich überschätzen und damit an ihren inneren Vorgaben scheitern oder ob sie sich unterschätzen und sich selbst nicht motivieren (dieses »ich kann das ja eh nicht«). Zum einen bietet also die erwartete Note dem Schüler eine Reflexion über seine Ziele und Leistungsfähigkeit und zum anderen bekommt der Lehrer einen Blick für die Schüler, wie sie sich fühlen – wenn viele Schüler nur eine Fünf erwarten, stimmt irgendwas mit der Motivation des Lehrers nicht.
Als zweites würde ich für jede Aufgabe vom Schüler eine Benotung abfragen, also wenn er die Aufgabe liest oder bearbeitet hat, soll er für die Aufgabe eine Note vergeben. Dies liefert dem Lehrer eine Rückmeldung, welche Aufgaben, vielleicht auch von der Aufgabenstellung her, von den Schülern als schwierig wahrgenommen werden. Diese könnte man in der Besprechung genau unter diesem Aspekt auswerten. Interessant ist aber auch der Vergleich der a-priori-Einschätzung mit der a-posteriori-Einschätzung, wenn die Lösung vorliegt. Die Schüler sollen dabei für sich selbst ergründen, warum eine Lücke zwischen den Einschätzungen klafft; »Standen sie sich selbst im Wege?«, »Haben sie sich in die Irre führen lassen?«, »Haben sie die Aufgabe unaufmerksam gelesen und daher nur zur Hälfte bearbeitet?« Wichtig ist, dass die Schüler Ihr Gefühl während der Leistungskontrolle konservieren, um dann im Nachgang darüber reflektieren können – Bewusstseinsbildung.
In der Besprechung der Leistungskontrolle sollte der Lehrer auch gezielt erläutern, warum er einige Aufgaben auf diese Weise gestellt hat, also welches Wissen bzw. welche Fähigkeiten er damit erfragen wollte. Auf solche Fallstricke hinzuweisen ist für die spätere Abschlussprüfung (und das Leben) sehr hilfreich, da diese teilweise mit Fallen gespickt sind, für die man auch um die Ecke denken können muss.