(Diese Abschnitte habe ich aus einer Diskussion über die Freiheit und Sicherheit von Messangern entnommen.)
Freiheit und Sicherheit
Bezogen auf die Frage »Sicherheit ggü. Freiheit« gibt es den Spruch: »Wer Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.« In meinen persönlichen Erfahrungen habe ich bereits beobachtet, dass dies auf lange Sicht stimmt.
Bei Sicherheit ist immer die Frage, worum es geht. Wenn es die Sicherheit bei der Verschlüsselung ist, also eine Abwehr und ein aktiver Schutz, dann ist dies positiv. Geht es aber um Sicherheit durch Beschützung, sprich der Schutz wird von jemand anderem erbracht (passiv), geht damit immer auch eine Einschränkung der Freiheit einher, weil Aufgaben und Handlungskompetenzen auf jemand anderen übertragen werden. Genau in dem Punkt ist Matrix anders als zentrale Systeme, da es auf Sicherheit durch Selbstermächtigung der Nutzer setzt. Bei Matrix gewinne ich Sicherheit dadurch, dass ich Freiheit bekomme, also mehr tun kann und von anderen unabhängiger werde. Damit geht allerdings eine Steigerung der Komplexität einher, gegen die der Mensch ein inneres Gegenstreben hat. Aus Gründen der Faulheit neigt der Mensch einfach zur Komplexitätsreduktion.
Wenn also die Politik oder zentrale Systeme auftreten und sagen »Wir beschützen euch, ihr braucht euch nicht kümmern/nicht nachdenken«, dann spielt das dem tiefen Bedürfnis der Menschen nach Beschütztwerden in die Hände, aber führt eben zur Abhängigkeit. Und gerade die Abhängigkeit ist es, die mit Signal & Co. bleibt. Denn ganz einfach: Was kann ich tun, wenn die das System abschalten oder das System ausfällt (siehe Google dieser Tage) oder wenn ich zur Persona non grata erklärt werde? Bei zentralen Systemen bin ich handlungsunfähig, weil ich diese Handlungskompetenz abgegeben habe. Diese Ohnmächtigkeit führt zu Krisen (psychisch und sozial), aber das ist ein anderes Themenfeld. In puncto Externalisierung des Schutzes könnte man noch die Frage der Machkonzentration im Sinne Foucaults bedenken, also Macht muss gestreut werden und darf nicht konzentriert werden – den wohlwollenden Diktator gibt es nicht auf ewig.
Dieses Argument mit Offenheit und Freiheit, also ob Open Source zu einer besseren Software führt, ist immer mit der Annahme verbunden, der Entscheider könne eine freie Entscheidung treffen. Wenn ich die Wahl habe, welches Programm ist verwende, dann ist Open Source immer die bessere Lösung, sofern ich zwischen mehreren auswähle, weil es mir mehr Informationen gibt und eine fundiertere Entscheidung ermöglicht. Leider sind Entscheider nie so frei und sind systemischen Zwängen unterworfen, die die Entscheidung beeinflussen.
Nichts ist beständiger als der Wandel
Ich sehe im Menschen zwei widerstreitende Kräfte: Den Lebenswillen und das Streben nach dem kleinstmöglichen Aufwand. Letzteres kann man als Faulheit oder eben wie in der Physik als Streben hin zum energieärmsten Zustand betrachten. Dem setzt der Mensch aber seinen Lebenswillen entgegen, denn sonst würde er schlicht und einfach sterben. Komplexitätsreduktion gehört also zu den Kräften, die das Leben erleichtern und vereinfachen sollen. Und selbst bei Kleinkindern sieht man dies bzw. habe ich mal irgendwo gelesen, dass dies der entscheidende Unterschied zwischen Affen und Menschen ist: Vertrauen. Kleinkinder ahmen nach und vertrauen den Eltern. Affenkinder sind da wohl skeptischer und übernehmen nicht so „blind“ Handlungen, was ganzheitlich betrachtet von Nachteil ist. Aber genau diese Abgabe der Verantwortung und das Vertrauen, das bei Kleinkindern hilfreich ist, kann später zum Nachteil werden, wenn damit die Abhängigkeit bestehen bleibt.
Ich würde es fast als natürlich ansehen, also jedes Lebewesen betreffend, dass es sich um seinen Fortbestand und den seiner Art sorgt, und dies mit möglichst geringen Energieeinsatz, denn wenn jemand das gleiche Ziel mit weniger Aufwand erreicht, wird die Evolution den anderen bevorzugen.
Daher sehe ich auch diese Faulheit nicht nur bei der IT, sondern genauso beim Konsum und auch bei der Bildung. Schon vor Jahrhunderten standen Menschen Möglichkeiten zur Verfügung, die sie nicht genutzt haben. Nur wenige haben die Neugier und Skepsis besessen, kritisch voranzuschreiten. Also auch vor 50 Jahren hätten schon vieles anders laufen können. Aber wie es immer so ist: man bleibt lieber beim altbewährten Schlechten, als zum riskanten Neuen zu wechseln.
Im Großen wie im Kleinen ist es meiner Meinung nach eine Frage der Balance. Man muss die passende Mischung aus Lebenswillen (Euphorie) und Trägheit (Skepsis) finden, genauso wie den Erfindern und Entdeckern die Bremser und Jasager entgegenstehen. Wenn die Kräfte allerdings aus dem Gleichgewicht geraten, kommt es zum Missstand, auf den witzigerweise auf der darüber liegenden Ebene wiederum mit dem Ausgleich reagiert wird, dass das System danach in einen Zustand des umgekehrten Missstands verfällt – so ganz im Sinne Hegels Pendels der Entwicklung. Ein perfektes Gleichgewicht, eine Monotonie/Homogenität oder die Entropienullinie wäre auch im Sinne der Evolution fatal, denn dann wäre das System nicht mehr resilient und anpassungsfähig und bei der kleinsten Alternative würde die Evolution es beseitigen. Daher haben Faulheit und Lebenswille beide ihren Sinn, nur eben kommt es auf die Mischung an oder wie Paracelsus sprach »Die Dosis macht das Gift«.
Weitsicht bei der Suche nach einem besseren Zustand
Die These klingt für mich erstmal nicht schlecht, das erklärt für mich aber nicht, dass sehr viele Menschen eben nicht den kleinstmöglichen Aufwand anstreben. Vor allem nicht bei Freier Software.
Die Menschen arbeiten, um weniger arbeiten zu müssen. Das klingt paradox, aber die Menschen nehmen heute Mühen auf sich, um später ein bequemeres Leben zu haben. Eine ähnliche Paradoxie habe ich die Tage von dem Wagnisforscher Siegbert Warwitz gelesen: »Menschen gehen aus sehr unterschiedlichen Beweggründen Wagnisse ein. Ein bedeutender ist das Streben nach mehr Sicherheit. […] Man setzt sich einer Situation aus, die mit Risiken verbunden ist. Bewältigt man sie, gewinnt man an Souveränität.« Analog sehe ich es auch bei der Investition für ein bequemeres Leben (Faulheit) und mehr Sicherheit in Form von Freiheit und Autonomie (Lebenwillen).
Ein Fluss als passives Wesen muss sich einfach seinen externen Zwängen fügen und fließt eben nur bergab, hin zu möglichst geringer kinetischer Energie. Diesen Nicht-Lebewesen würde ich noch keinen Selbsterhaltungstrieb und Lebenswillen unterstellen. Einer Pflanze hingegen schon. Sie wächst und widersetzt sich in Teilen den externen Zwängen und wächst zum Beispiel entgegen der Schwerkraft und dem Licht entgegen, weil dies für sie vorteilhaft zum Überleben ist. Aber eine Pflanze nimmt diesen Aufwand wider den externen Zwängen nur in begrenztem Maße auf, soweit ihr Wissen (ihre DNS) es ihr vorgibt und es ihr kurzfristig einen Nutzen bringt.
Die Welt ist sehr vielfältig (= multidimensional) und nicht monoton (es geht hoch und runter). Aus der Mathematik weiß man, dass man bei der Suche nach einem Optimum (Zustand minimaler Energie) bei nicht monotonen Funktionen mit einer lokalen Suche – wenn man also immer nur nach links und rechts schaut und keinen Weitblick hat – nicht ein globales Optimum finden muss, sondern in einem lokalen Optimum hängen bleiben kann. Wenn man aber in der Lage ist, weiter zu blicken (räumlich wie zeitlich), dann kann man auch lokale Optima überwinden und sogar zum globalen Optimum gelangen. Viel Theorie, der Kern ist: je weitsichtiger die Optimumssuche gestaltet ist, desto bessere Zustände können erreicht werden. Natürlich wird damit die Suche auch komplexer.
Je höher ein Lebewesen entwickelt ist, desto größer sind auch seine Fähigkeiten, über seine Umwelt und sich selbst zu reflektieren. Es kann sich Zustände vorstellen, die nicht gegeben sind (z. B. wenn das Dach steiler wäre, würde der Schnee besser rutschen) oder die in der Zukunft liegen (z. B. wenn ich im Frühjahr die Kartoffeln in die Erde lege, kann ich sie im Herbst ernten). In diesem Sinne zeigen Tiere bereits ein weitsichtigeres Streben nach Sicherheit und Faulheit, indem sie zum Beispiel auch soziale Interaktionen nutzen (z. B. den Schutz der Herde). Der Mensch wiederum ist in der Lage noch weiter in die Zukunft zu blicken und sich noch komplexere Strukturen vorzustellen, die dann wiederum für ihn als Motivation dienen, die Anstrengungen wider den externen Zwängen auf sich zu nehmen, um später ein angenehmeres und sichereres Leben zu haben.
Die Ausprägung dieser Fähigkeit zum Weitblick würde ich nicht nur speziesübergreifend, sondern auch innerhalb der Menschheit sehen: Es gibt Menschen, die aufgrund ihrer Erfahrungen und kognitiven Fähigkeiten vielschichtiger und weitsichtiger denken als andere. Daher haben einige die Motivation, in Open-Source zu investieren, weil sie sich für sich und vielleicht auch für die Gesellschaft einen bequemeren Zustand größerer Handlungsfreiheit versprechen – und daher den Weg hinaus aus dem lokalen Optimum wagen.