Die Mathematik bietet eine reichhaltige Sammlung an Werkzeugen und Methoden, um Probleme zu lösen und Fragen zu beantworten. Allerdings operiert die Mathematik allein in der abstrakten Welt von Zahlen und Formeln. Ein realweltliches Problem muss also zuvor in ein mathematisches Modell übersetzt und nach der Berechnung muss das Ergebnis zurücktransformiert, sprich interpretiert werden.
Modellierung und Interpretation
Bei der Modellierung wird eine abstrakte Beschreibung des Problems erstellt, indem vom konkreten Sachverhalt alle Informationen entfernt werden, die nicht relevant sind. Im Mathematikunterricht treten diese Vorgänge vor allem in Form von Sachaufgaben auf, aber auch im späteren Leben ist eine wichtige Fähigkeit, wesentliche von unwesentlichen Informationen trennen zu können und den Kern einer Fragestellung – worum es wirklich geht – zu erkennen.
Am Ende muss dann das Ergebnis im Kontext der Fragestellung interpretiert werden, denn mit der Mathematik lassen sich oft Ergebnisse berechnen, die nicht sinnvoll sind. So existieren negative Längen oder Flächen in der realen Welt nicht, aber eine negative Länge könnte zum Beispiel im Sinne einer rückwärtsgerichteten Bewegung interpretiert werden – wenn also das Ziel vor dem Start liegt. Oft können aber Lösungen auch verworfen werden, weil sie eben im Kontext der Fragestellung keine sinnvolle Interpretation haben.
Wichtig ist also, nach der Berechnung zu prüfen, ob das, was berechnet wurde, überhaupt stimmig ist. Neben Rechenfehlern kann der Fehler auch in der Modellierung – auch selbst noch in der Interpretation – liegen. Das Ergebnis einer Berechnung wäre zum Beispiel inhaltlich unzureichend oder falsch, wenn die mathematische Repräsentation des Problems Randbedingungen stellt, welche jedoch nicht erfüllt sind; wenn z. B. alle Zahlen gerade oder prim sein müssten. Ein solches Modell würde dann nicht dem Sachverhalt entsprechen und die Berechnung könnte ein falsches Ergebnis liefern. Daher ist bei komplexeren Sachverhalten immer zu prüfen, ob die Modellierung zutreffend und anwendbar ist.1
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Als Pradebeispiel für eine schlechte Modellierung gilt der homo oeconomicus in der Ökonomie, bei dem unzureichende Annahmen über das Verhalten von Menschen getroffen werden (ein Mensch handele ausschließlich rational), weshalb die ermittelten Ergebnisse oft weit vom realen Verhalten der Menschen entfernt sind. ↩
Sachaufgaben
Ein wesentliches Anliegen des Mathematikunterrichts ist es, das Abstraktionsvermögen (Modellierung) und das Denkvermögen (Berechnung) zu schulen, denn für komplexere Fragestellungen im späteren Leben, ist es wichtig, einen Sachverhalt in ein formales Modell übertragen zu können, um die Methoden der Mathematik anwenden zu können. Die Fähigkeit, wesentliche von unwesentlichen Informationen unterscheiden zu können, ist aber auch allgemein hilfreich … und notwendig. Wer zum Beispiel eine Frage mithilfe einer Suchmaschine beantworten will, muss die wesentlichen Angaben erkennen und als Stichwörter formulieren können.
Daher treten Sachaufgaben in allen möglichen Varianten immer wieder auf. Denn beim Gehirn ist es ähnlich wie bei Muskeln: Fähigkeiten und Kenntnisse setzen sich erst mit mehrmaliger Durchführung fest – deshalb ist vielfältige Wiederholung wichtig fürs Lernen.
Als Illustration für die Modellierung soll das folgende mathematische Rätsel dienen:
Der Vater ist heute genau sechsmal so alt wie der Sohn, und zusammen sind der Vater, die Mutter und der Sohn exakt 70 Jahre alt. Wenn später einmal der Sohn halb so alt sein wird wie der Vater, dann werden der Vater, die Mutter und der Sohn zusammen gerade doppelt so alt sein wie sie es heute sind. Wie alt sind die drei heute?
Man bemerke, dass schon das Rätsel selbst in einer abstrakten Form mit Vater, Mutter, Sohn formuliert ist und sich nicht auf konkrete Personen wie Hans, Inge und Stefan bezieht. Aber für ein mathematisches Modell genügt auch dies noch nicht, denn Alter oder später gibt es in der Mathematik nicht.
Sinnvoll bei der Modellierung ist es immer, für die Variablen Namen zu wählen, die leicht an ihren Ursprung erinnern. Daher soll der Vater durch @m(v), die Mutter durch @m(m) und der Sohn durch @m(s) repräsentiert werden. Damit ergeben sich aus dem ersten Satz die beiden Beziehungen:
Ein Trick für die Modellierung von später ist, für die älteren Personen neue Variablen zu verwenden. Der Vater in einigen Jahren wird mit @m(v'), die Mutter und der Sohn analog mit @m(m') und @m(s') bezeichnet. Inhaltlich sind es zwar die gleichen Personen, aber durch diese mathematische Unterscheidung, kann man den Zusammenhang später (in @m(x) Jahren) mit @m(v' = v + x) modellieren. Somit ergibt sich:
Die Aussagen des zweiten Satzes lassen sich dann noch mit folgenden Formeln beschreiben:
Mit diesen Gleichungen hat man ein mathematisches Modell geschaffen, auf das sich die Methode des Gleichungssystemlösens anwenden lässt, denn es sind sieben Gleichungen und sieben Unbekannte – die Lösung ist also eindeutig.
Durch Einsetzen und Umformen lässt sich der Jahresunterschied von später ermitteln:
Mit diesem Ergebnis kann man das Alter des Sohnes, des Vaters und der Mutter ermitteln:
Der Sohn ist also 5 Jahre und 10 Monate, der Vater 35 Jahre und die Mutter 29 Jahre und 2 Monate alt.