Beim Deutschlandfunk habe ich ein wunderschönes Interview über die Kritik am Umgang der Gesellschaft mit der Digitalisierung gefunden: »Entzauberung durch Digitalisierung – ›Das Glück ist unverfügbar‹«
[…] „Wir haben aus der Lust am Leben die Gier gemacht, nicht mehr sterben zu müssen.“ Und das empfinde ich auch so. Wenn ich mich umschaue in den, sagen wir mal, urbanen Zentren der westlichen Welt, ich spüre viel Angst. Ich spüre ein eklatantes Sicherheitsbedürfnis, obwohl wir eigentlich statistisch gesehen so sicher leben wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Ich spüre Verzagtheit, aber auch Hysterie und vor allem die totale Fokussierung auf die Technologie als Lösung für sämtliche Aspekte und Probleme des Lebens.
Ich glaube, wir könnten unser Leben wieder verzaubern, wenn wir diesen Glauben an die Technologie wieder ein bisschen zurückschrauben, den Glauben an die Berechenbarkeit des Lebens wieder ein bisschen zurückschrauben und uns wieder mehr bewusst werden, sagen wir mal, dass das Leben eine Gnade – wenn man religiös sprechen will – ist oder unreligiös gesprochen ein Geschenk ist, das vor allem in seinen unberechenbaren Momenten eigentlich erst zu großen Glücks- oder Sinnerfahrungen kommen kann.
Ein Schelm, der darin eine Kritik an der Coronakrise mit ihren technokratischen, alternativlosen Lösungen und der Verweigerung der natürlichen Gefahren des Lebens liest.
Das Glück – und davon bin ich ganz überzeugt – ist unverfügbar. Die großen, die tiefen menschlichen Regungen – Glück, Liebe, auch Lust, auch Freundschaft – die sind unverfügbar. Wir haben keine Macht über sie, auch, wenn uns das vom Silicon Valley suggeriert wird.
Und wenn wir das anerkennen, dass wir uns wieder ein bisschen mehr auf die Unberechenbarkeit des Lebens einlassen, dass sich das Glück auf anrüchigen Wegen, vielleicht von hinten an uns heranschleichen kann und nicht in der nächsten App liegt, dann, glaube ich, wären wir schon einen Schritt weiter. Und ich will diese ganze Welt ja nicht dämonisieren. Die kann ja eine sinnvolle Ergänzung sein, die Technologie, aber sie sollte nicht zum Gott, zur gottgleichen Entität werden.
„Wir können das Leben nicht verlängern, aber verdichten.“ Ihm würden die Tech-Investoren und -Erfinder widersprechen. Sie glauben daran, das Leben zu verlängern. Ich bin eher auf seiner Seite. Wir sollten nicht ständig darum besorgt sein, unser Leben ein paar Jahre in die Länge zu ziehen, sondern die Jahre, die wir haben, von denen wir nicht wissen, wie lange sie dauern und wann unser Leben zu Ende geht, so gut wie möglich zu nutzen.
Und zu nutzen meine ich nicht in einem effizienten, kapitalistischen, fleißigen Sinne, sondern das Wort „verdichten“, das er verwendet hat, ist eigentlich ganz schön, es mit Erfahrungen und echten Begegnungen anzureichern. Und dann, glaube ich, hat man auch kein Problem oder weniger Probleme, am Ende des Lebens zu sagen: Es ist gut, ich gehe jetzt. Ich weiß nicht, wohin ich gehe, aber ich hoffe, dass ich an einen schönen Ort gehe.