In einem leicht bissigen Kommentar Digitale Souveränität zum Schnäppchenpreis hat Felix von Leitner schön aufgezeigt, wie die Regierungen der letzten 10 Jahre eine ordentliche und zukunftsweisende Lenkung der Technik unterlassen haben und was sie gegenwärtig tuen könnten, um in der digitalen Zukunft noch handlungsfähig zu sein. Der heutige Schlamassel mit Google, Microsoft, Facebook, Amazon, Intel1 u. s. w. ist mit die Folge davon, dass die Politiker des letzten Jahrzehnts, inklusive der heutigen, mit einem verträumtem Blick auf die Digitalisierung schauten und immer noch schauen und völlig unterschätzen, welchen Stellenwert die Technik in Zukunft für unser Leben haben und welcher Wandel damit einhergehen wird.
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Der Prozessormarkt für PCs wird sehr stark von Intel dominiert, in deren CPUs seit 2018 immer wieder gravierende Sicherheitslücken (Stichwort Meltdown/Spectre) aufgedeckt werden. ↩
Die Schlummerpolitik der CDU-Regierungen
Seit 2000 war bereits für ITler zu erkennen, dass die Unabhängigkeit des Cyberspace' ein netter Traum war, aber die Verbindung mit der realen Welt Probleme mit sich bringt, die Lösungen von der gesamten Gesellschaft erfordern. Bis in die 1990er Jahre, als Universitäten, freie Einrichtungen und Enthusiasten das Internet dominierten, war das Miteinander noch von einem kooperativen und gemeinschaftlichen Ton geprägt. Aber spätestens mit dem Anwachsen kleiner Projekte zu großen Wirtschaftskonzernen in den 2000er Jahren ist das Internet von neoliberalen Wirtschaftspraktiken geprägt und aus Kooperation ist der bekannte Wettkampf um den ersten Platz geworden – Dividende vor Gemeinwohl.
Spätestens Anfang der 2010er Jahre hätte die Koalition aus CDU/CSU und FDP sich mit den Themen Internet und Digitalisierung beschäftigen müssen. Aber leider haben die Politiker viele Chancen für eine sanfte Steuerung verstreichen lassen und bis heute einen großen Berg an Aufgaben – angefangen bei Bildung – aufgetürmt, den sie immer wieder versuchen, brockenweise in Hauruckaktionen abzutragen. Mit ihren erworbenen Nicht-Kompetenzen im Bereich Digitalisierung fühlt sich das dann an, als fiele einem ein Brocken auf die Füße, und führt zu Fehlentwicklungen und Flops. Die CDU als konservative Partei hat sich einfach als schwer tauglich für die Gestaltung der Zukunft gezeigt, denn auch schon Helmut Kohl hat 1982 den bis 2015 geplanten Glasfaserausbau gestrichen und lieber Kabelfernsehen gefördert.
Das Wesen der Digitalisierung
Das tragische am Verschlafen des digitalen Wandels ist nicht nur, dass plötzlich neue Technik überall verteilt wird, die einige hilfreiche, aber auch unschöne und unerwünschte Funktionen besitzt und die wild wuchern dürfen. Mit der Digitalisierung geht auch ein großer Umbruch von einer materiellen zu einer immateriellen Denkweise einher – ein Wandel ähnlich wie mit der Erfindung des Buchdrucks, der auch plötzlich Texte, Gedanken, Wissen, immaterielle Güter freigesetzt hat.
Daten verhalten sich anders als Bausteine: Wenn man ein Bild oder ein Lied auf einem Computer oder auch quer durchs Internet kopiert, ist am Ende das Ergebnis identisch – Original und Kopie sind nicht zu unterscheiden. Eine Kopie eines Fotos oder einer Kassette hat Unterschiede, die von Mal zu Mal deutlicher werden. Daten hingegen lassen sich beliebig oft exakt reproduzieren, was uns an vielen Stellen neue Möglichkeiten bietet, aber auch neue Lösungen abfordert; siehe Identitätsdiebstahl und Raubkopien.
Als weiteres Beispiel sei noch das Verhalten virtueller Objekte benannt: Wenn jemand zwei Blätter Papier vor sich liegen hat, auf einem ein Wort schreibt und er das selbe Wort in der selben Schreibweise zeitgleich auf dem zweiten Blatt Papier erscheinen sieht, würde man ihn im besten Fall für einen Menschen mit einer lebhaften Fantasie bezeichnen. In der digitalen Welt ist dies aber völlig normal: Die Zeichen, die ich hier an meinem Laptop eintippe, erscheinen sofort am anderen Ende der Welt auf dem Bildschirm – und nicht nur dort, sondern auf vielen anderen Bildschirmen auch. Echtheit, Vertraulichkeit und Verfügbarkeit sind für digitale Daten ganz anders als für Worte auf Papier.
Die Veränderung(en) der Zukunft
Für solche Verhaltensweisen fehlt uns bisher jegliches intuitives Gespür und wir müssen dafür erst das Verständnis entwickeln. Und das braucht Zeit, Zeit, die die Politiker der letzten Jahre haben verstreichen lassen und im schlimmsten Fall wurde Technik dämonisiert und dadurch Hemmungen und emotionale Barrieren aufgebaut, anstatt für einen sanften Übergang ins »Neuland« zu sorgen.
Aber nicht nur neue Herausforderungen bringt die Digitalisierung mit sich, sondern sie bietet auch neue Möglichkeiten. Eben weil eine exakte Kopie mit sehr geringem Aufwand hergestellt werden kann und dabei kein Material verbraucht wird, können – und für mit staatlichen Geldern erstellte Software müssen – Software-Projekte offen und frei sein. Denn auch hier trifft der Spruch vom (immateriellen Gut) Glück zu, dass man es durch teilen verdoppeln kann – Bits und Bytes können einen größeren Nutzen entfalten, wenn man sie weitergibt; eine gänzlich andere Kultur, für die ironischerweise die CDU mit dem Parteitagsbeschluss 2019 die Tür aufgestoßen hat.
In seinem Kommentar hat Felix von Leitner gute Ansatzpunkte benannt, an denen die Politiker nach ihrem digitalen Langzeitschlaf beginnen können, das »Neuland« zu gestalten, indem sie die Monokultur der Großkonzerne durch mehr freie und offene Vielfalt ergänzen. Gleichzeitig müssen sie der Gesellschaft einen guten Weg dorthin ebnen, damit die digitale Kluft1 nicht größer wird und nur die Spezialisten von der Technik profitieren, sondern alle Bürger einen Zugang zum Reichtum der digitalen Welt erhalten.
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Es geht nicht um den reinen Internetzugang, sondern die Erreichbarkeit von Informationen, das Wissen um Zusammenhänge und die Frage, ob man Konsument oder selbstbestimmter Nutzer ist. ↩