Für das Wort Hacking gibt es mehrere Formen der Deutung. Die eine ist ein böswilliges Angreifen und schädigen eines Systems, aber ich bevorzuge eher die positive Form von kreativem Umgang mit den Mitteln. Im Computerbereich ist dies meist der Einsatz von Programmen und Werkzeugen für ungeplante Dinge, die der Programmierer so nicht vorgesehen hatte – woher sicher die negative Interpretation stammt. Wenn aber Programme genau für solche kreative Nutzung offen sind, bergen sie ein wesentlich größeres Nutzungspotential als eingeschränkte Programme. Dabei geht es noch nicht einmal um den Zugang zum Quelltext.
Die Unix-Philosophie »Eine Aufgabe – ein Werkzeug« führt zum Beispiel dazu, dass es viele kleine Programme für die Kommandozeile gibt, die man wie Legosteine für die aktuellen Bedürfnisse kombinieren kann. Ist die Sortierung der Ergebnisse notwendig? Dann füge man sort hinzu. Sollten Duplikate entfernt werden? Dann geht dies mit uniq. Sind nur die ersten oder letzten Zeilen relevant? Man nehme head oder tail. Das Ziel sind nicht hochintegrierte Programme, die alles können, – die eierlegenden Wollmilchsauen – sondern um kleine Bausteine, mit denen der Endanwender kreativ arbeiten kann.
Der Hacker des Lebens
Ein Hacker ist in diesem Verständnis also ein kreativer Nutzer seiner Möglichkeiten. Da diese Vorstellung aber nicht allein auf den Computer begrenzt ist, kann man auch so manche Live-Hacks finden. Ein praktisches Beispiel liefert die Deutsche Bahn in Regionen an Tarifgrenzen. Manchmal ist es günstiger ein entfernter liegendes Ziel auszuwählen, weil dann wiederum andere Tarife möglich werden, die plötzlich günstiger sind als die Fahrt zum eigentlichen Ziel.
Es geht nicht darum, Mittel auf verbotene Weise, also außerhalb ihres Zulassungsbereiches zu verwenden, sondern sie in einer kreativen Form so einzusetzen, dass etwas Neues entsteht – eben die Legosteine für eine Burg nutzen, um eine Strandlandschaft zu bauen.
Auf diese Weise hat zum Beispiel auch Frag den Staat das Urheberrecht und die Informationsfreiheitsgesetz geschickt miteinander kombiniert, sodass am Ende die Ansprüche des Zensurheberrechts durch massenhafte Nutzung des IFGs gefallen sind.
Galileo war ein Hacker
In dem Buch Die letzte Stunde der Wahrheit – Kritik der komplexitätsvergessenen Vernunft ist auch eine wahrlich kreative Nutzung der Möglichkeiten zur Bewältigung der Lebensaufgaben geschildert: Galileo Galilei hatte im 17. Jahrhundert ein Buch mit dem Weltbild Nikolaus Kopernikus' mit der Sonne statt der Erde im Mittelpunkt publiziert. Dies war gegen die Lehre der katholischen Kirche, woraufhin Galilei von einem Inquisitionsgericht verurteilt wurde. Da sich aber der damalige Papst Urban VIII. der Unhaltbarkeit des geozentrischen Weltbilds bewusst war, stellte er als Bedingung für die Zulassung des Werkes die Forderung, das Werk möge mit einem Dialog über die beiden Weltsysteme und einem Bekenntnis für das geozentrische Weltbild abschließen. Damit entschärfte Urban VIII. die Konfrontation und stelle beide Seiten zufrieden.
Galilei wiederum, konfrontiert mit dieser Forderung, fand eine kreative Lösung in der Wahl der Personen des Dialogs. Er ließ das Bekenntnis zum Weltbild der katholischen Kirche von einem Dummkopf ablegen. So tat er den Forderungen des Inquisitionsgerichts genüge, aber jedem Leser war die eigentliche Botschaft klar.