Bei Xing ist eine ausführliche Analyse der Pläne für die Altersvorsorge der Parteiprogramme für die Bundestagswahl 2021 erschienen. Der Kommentar von mir dazu:
Auffällig an allen Parteiprogrammen ist doch, dass sie nicht das Prinzip der Rente und der klassischen Lebensaufteilung anzweifeln. Auch für die Zukunft in 40 Jahren sehen die Parteien offensichtlich immer noch vor: 20 Jahre Ausbildung, 45 Jahre Arbeiten und ab da an all das nachholen, was man vorher nicht wollte/konnte. In Anbetracht, dass sich Arbeit immer mehr auf schwere körperliche Arbeit (Krankenschwester, Handwerker) und geistige Tätigkeit verteilt, die dem einen kaum ein Arbeiten bis zum offiziellen Rentenalter und anderen eine aktive Tätigkeit noch gut mit 70 und mehr erlaubt, muss dieses starre Konzept vom schuftenden Industriearbeiter aus dem 19. Jh. abgelöst werden. Wenn sich in Zukunft die Arbeit eher auf gering qualifizierte (und leicht austauschbare) Arbeitskräfte und Spitzenfachkräfte verteilt, kann Arbeit nicht mehr mit den alten Leistungsmaßstäben gemessen werden. Vielmehr muss es sich um die Frage drehen, wie Arbeit für die Integration aller Bürger in die Gesellschaft genutzt werden kann.
Interessanterweise kam von der Xing-Redaktion die Frage, ob ich noch etwas mehr zu dem Gedanken ausführen könne. Da ich schon länger über diese Frage nachdenke, habe ich noch folgendes ergänzt:
Im Groben geht es um Frameing: Arbeit sollte von der Denkweise her den primären Charakter von gesellschaftlicher Begegnung bekommen. Ziel sollte nicht mehr sein »jemandem Arbeit zu verschaffen«, sondern »ihn in die Gesellschaft zu holen«. Das klingt erstmal nur nach Wortklauberei, aber wenn man gedanklich den Positionswechsel vollzieht und sagt »es ist wichtig, dass du dabei bist«, wird auch eine andere Wertschätzung für alle Tätigkeiten und Menschen entstehen.
Rein praktisch sollte sich ein Einkommen aus einem staatlichen Grundsockel und einem privatwirtschaftlichen Zuverdienst zusammensetzen. Der Grundsockel verfolgt allein das Ziel der gesellschaftlichen Teilhabe (nicht primär die Mehrwertschöpfung) und bringt ein Recht auf Teilhabe. Die (Grund-)Rente wird in dem Sinne dann jedem ausgezahlt, der noch den sozialen Kontakt zur Gesellschaft pflegt – und dafür genügt schon der Gartenverein. Es geht nicht darum, welche Wirtschaftsleistung ein Mensch erbringt, sondern dass er nicht ausgegrenzt wird (oder sich ausgrenzt) – das Abgehängtsein-Problem. Durch dieses »Recht auf Arbeit« sehe ich auch umgekehrt eine kontinuierliche Zuführung von Arbeitskräften in die Wirtschaft, was wiederum den Arbeitsmarkt lebendig hält und den Arbeitern einerseits die Freiheit für einen diversen Lebenslauf gibt und andererseits der Einstiegspunkt für den Mehrverdienst über den Grundbetrag hinaus ist.
Ich hoffe, das konnte so grob die Richtung umreißen, denn ich will hier nicht den Kommentarbereich fluten. Fakt steht für mich jedenfalls, dass dies ein riesiger Kulturwandel wäre (der z.B. dem Wochenende seiner Bedeutung berauben würde), der sehr viel Zeit (40, 50 Jahre) braucht. Und daher müsste sich ein solcher Wandel jetzt schon in der Ferne in den Parteiprogrammen andeuten.
Zu den Plänen der FDP
Passend zu meinen Anmerkungen zum obigen Artikel gab es am selben Tag (2020-07-06) mit dem Finanzexperten von der FDP ein Interview zu deren Rentenplänen. Gut finde ich, dass Herr Dürr die Schieflage in den kommenden Jahren anspricht, aber dass die Aktienrente die Lösung dafür ist, erschließt sich mir nicht.
Ich denke, es wird nicht anders werden, als dass es zu einem Einbruch kommt – das sollte man den Leuten auch klar und deutlich kommunizieren. Denn – so wie es auch Herr Dürr sagt – man hätte das Problem schon vor 20 Jahren angehen sollen. Es ist ähnlich wie mit der Klimaerwärmung: Die Zeit zum Verhindern des Kollapses ist vorbei, jetzt geht es nur noch um Schadensbegrenzung.
Mir wird aus dem Interview nicht ganz verständlich, warum das Problem in 10 Jahren (nicht verfassungskonformer Haushalt) mit dem Ansparen über eine Aktienrente gelöst werden kann. Wie hoch sind die erwarteten Ausgaben und Zuschüsse zur Rentenversicherung 2030? Wie hoch sind die erwarteten Ausschüttungen aus der Aktienrente? Kennt vielleicht von den Lesern jemand eine detailliertere Betrachtung der FDP-Pläne?
Mein Wunsch an Frau Weyer wäre, ruhig ein paar bissigere Fragen zu stellen.