Ich habe Traumdeutung schon professionell erlebt und glaube da nicht mehr dran. Die Traumdeutungen meines Psychoanalytikers waren zum Teil so widersprüchlich und zielgerichtet (voreingenommen), dass ich darin keine freie Interpretation mehr gesehen habe, sondern ein Werkzeug der Analyse – aber dazu später mehr.
Die Biologie der Träume
Ich habe einmal einen interessanten Artikel über die Bedeutung von Träumen gelesen und da hieß es, dass es zwei (wissenschaftliche, nicht psychotherapeutische) Interpretationen gibt: ① die in die Vergangenheit gerichtete, dass Träume die Verarbeitung von Erlebnissen sind, und ② die Zukunftsgerichtete, dass wir mit Träumen lernen und uns imaginär auf neue Situationen vorbereiten. Ich denke, beides wird zutreffen. Das Gehirn verarbeitet das Wissen, das im Arbeitsgedächtnis liegt, und das, was frisch ins Langzeitgedächtnis übergegangen ist, und festigt genau dabei auch die Verbindungen und lernt.
Aber das passiert meiner Meinung nach rein zufällig. Das Gehirn ist ständig aktiv und aktiviert zufällig bestehende Verbindungen. Dabei werden besonders die Nervenverbindungen ansprechen, die erst vor kurzem genutzt wurden und noch »warm« sind. Deshalb erlebt man in Träumen auch viele aktuelle Ereignisse und oft merkwürdige Verknüpfungen, die sich überlagern, aber nicht völlig abwegig sind. Ich habe noch nie in einem Traum eine Welt erlebt, die mir vollkommen fremd war – weil es die entsprechenden Nervenverbindungen nicht gab. Ein Traum, in dem Pflanzen fliegen und Fische mit dem Bus fahren, wird nicht passieren, weil es dafür die Nervenverbindungen nicht gibt – wer heute Nacht genau davon träumt, wird es nur tun, weil dieser Text die entsprechenden Verknüpfungen aufgebaut und die Synapsen vorgewärmt hat.
Neue Ideen und Lösungen findet man im Schlaf nur deshalb, weil sie Kombinationen bestehenden Wissens und alter Gedanken sind. Ich habe das schon mehrfach erlebt, dass ich morgens erwacht bin und plötzlich die Lösung hatte. Aber ich halte Ideen und Erfindungen eh für keine echte singuläre Neuschöpfung, sondern für eine geniale Rekombination vorhandenem Wissens. Aber ich denke nicht, dass unser Gehirn im Schlaf neues Wissen generiert, also dass man morgens erwacht und plötzlich weiß, was im Buch, das man abends gelesen hat, auf der nächsten Seite steht.
Dahinter, dass in den Träumen diese wilden Überlagerungen entstehen, die aber immer noch stimmig sind, sehe ich eine Funktion des Gehirns, der die wilden Gedanken zusammenfügt und glättet – das ist eine reine Spekulation von mir, denn von einem solchen Funktionsprinzip des Gehirns habe ich noch nirgends gelesen. Es gibt aber für die Sprachgenerierung eine solche Glättungseinheit beim Sprechen, die alles glatt zieht und rund macht; nicht im inhaltlichen Sinne, sondern dass man Wörter korrekt ausspricht und die Struktur des Sprechens einhält. Dadurch kommt es dann zu den freudschen Versprechern, wenn bei einer Überflutung des Eingangs mit zu vielen Gedanken einfach irgendwas kombiniert wird und am Ausgang ein sprachlich (nicht grammatikalisch) korrekter und verständlicher (im Sinne von artikulierbarer) Satz herauskommt, aber eben inhaltlicher Wirrwar – eine Mischung aus den Eingabegedanken.
Diesen totalen Anspruch, dass man durch Träume ins Unterbewusstsein blicken kann, habe ich nicht mehr. Ich glaube auch nicht an die Symboldeutung (Feuer, Wasser u. s. w.), denn die erscheint mir sehr willkürlich und teils widersprüchlich. Aber meine Vorstellung ist, dass eben vom Tage viele Nevenübergänge so warmgelaufen sind und das Gehirn eben diese dadurch bevorzugt aktiviert, womit wir genau diese „Gedanken“ erleben. Da das aber weniger gesteuert als durch die externen Reize (Auge, Ohr) passiert, kommen halt irgendwelche wilden Kombinationen heraus, die dann auch diese schrägen Träume erzeugen.
In diesem Sinn hat man also tatsächlich Zugriff auf das Unterbewusstsein, aber dass das Unterbewusstsein eine aktive Welt darstellt, die lebt und in die man damit hineinsehen kann, glaube ich nicht. Es ist ähnlich wie mit den freudschen Versprechern: Da ist etwas Wahres daran, aber nicht in dem Ausmaß, wie es immer dargestellt wird.
Traumdeutung in der Psychotherapie
Die Traumdeutung habe ich viel mehr als ein sehr hilfreiches Element in der Psychotherapie erlebt, um sich in Situationen hineinzuversetzen. Meist gehen ja mit diesen Träumen starke Emotionen einher und genau diesen Impuls kann man nutzen, um die Gefühle in solchen Situationen zu erreichen und zu bearbeiten. Also Traumdeutung ist wirklich hilfreich, um sich auch zukunftsgewandt Gedanken zu machen und über Erlebnisse zu reflektieren, aber es ist nicht das Tor zu einer sagenumwobenen Welt.