Vor kurzem erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel über »Die Nachteile der Digitalsteuer«, zu dem ich einige Ergänzungen hätte.

Die Aussage »Steuersysteme sind ein Spiegel der Gesellschaft. Der progressive Tarifverlauf unserer Einkommensteuer spiegelt den Wunsch nach Umverteilung wider« greift aus meiner Sicht etwas kurz, denn die Progression spiegelt viel eher den Wunsch nach angeglichenen Verhältnissen in der Gesellschaft wider: Bei der Finanzierung der Staatsausgaben sollen all jene einen größeren Anteil beitragen, denen mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Da für diese Menschen das einfache Brot genauso viel kostet wie für Geringverdiener und deren Mägen, sprich Bedarf, nicht im Verhältnis ihres Einkommens gewachsen sind, gleicht die Progression den Unterschied von absolut und relativ aus.

Obwohl die Autorin Deborah Schanz bereits mit diesem »Wunsch nach Umverteilung« den zweiten Charakterzug von Steuern andeutet, sieht sie bei der Digitalsteuer doch nur die Geldeinnahmen. Die Fiskalwirkung ist zwar der offensichtliche Charakterzug einer Steuer – Geldeinnahmen für den Staat zu erzielen –, aber gerade mit dem Wunsch äußert sich auch der Wille, mit einer Steuer strukturierend auf das (Markt-)Geschehen einzuwirken – die Lenkungswirkung der Steuer.

Digitalsteuer

Beide Charakterzüge einer Steuer können unterschiedlich stark ausgeprägt sein, sodass zum Beispiel die Alkohol- oder Tabaksteuer primär eine Lenkungswirkung entfalten soll und dennoch Geld in die Staatskasse spült – man erinnere sich an die Finanzierung zur Terrorabwehr. Andere Steuern wie die oben erwähnte Einkommenssteuer haben primär eine fiskalische Wirkung.

Aus diesem Grund fehlt mir in der Betrachtung zur Digitalsteuer in dem Artikel der Blick auf die Lenkungswirkung. Auf dem Markt des digitalen Handels – seien es Software und virtuelle Güter als Produkte oder der Verkauf via Digitaltechnik – ist über die letzten Jahre ein Ungleichgewicht entstanden: einerseits zwischen Kunde und Händler und andererseits zwischen Händlern. Daher sollte eine Digitalsteuer auch das Ziel verfolgen, diese Machtunterschiede auszugleichen und den Marktteilnehmern wieder mehr Freiheit in ihrem Handeln verschaffen.

Dieser Machtausgleich kann auf zwei Arten geschehen: Zum einen könnte der Stärkere geschwächt werden und zum anderen der Schwächere gestärkt werden. Wenn also die neue Digitalsteuer dazu führt, dass die Produkte der Großen teuer werden und somit der Endkunde mehr dafür bezahlen muss, werden die Produkte unattraktiver und indirekt damit die Produkte der Konkurrenten wieder attraktiver. Ein Digitalaufschlag auf den Preis bei Amazon macht so den Gang zum lokalen Buchgeschäft wieder interessant. Wenn die Digitalsteuer also die Großen stärker belastet als die Kleinen, so sorgt dies für eine Chancenangleichung unter den Marktteilnehmern – ähnlich wie die Progression der Einkommenssteuer.

Digitalpolitik

Leider haben große Unternehmen eine sehr hypnotisierende Wirkung: Alle starren ganz gebannt – wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange – nur auf die immer größer und schwerer werdende Seite der Waage und übersehen dabei völlig den Handlungsspielraum der zweiten Waagschale: Der Weg zum Machtausgleich auf dem Markt liegt nicht nur in der Begrenzung der Großen, sondern auch in der Unterstützung der Kleinen.

Mit einer Steuer ließen sich zwar nicht die Kleinen fördern, aber durch entsprechende politische Vorgaben, könnte zusätzlich zu einer Digitalsteuer das digitale Wachstum in Deutschland angeregt werden. Bei einem Wachstum lässt sich auch besser die Wuchsrichtung beeinflussen, als ausgewachsene Unternehmen auf die gewünschte Form hin zuzuschneiden.

Anstatt also die großen Internetkonzerne zu zerschlagen, sollte man sich besser darum bemühen, die Vielfalt zu stärken und kleine Markteinsteiger unterstützen, die strukturell den großen Konzernen unterlegen sind. Der Staat muss an der Stelle für Chancengleichheit der Marktteilnehmer sorgen, wenn es Veränderungen geben soll. Anderenfalls lähmen die strukturellen Unterschiede die Entwicklung.

Der Nachholbedarf bei der Nutzung der Digitaltechnik ist in Deutschland wahrlich groß, insbesondere in der Verwaltung. Aber ein Vorteil der Zuspätkommer ist, dass sie aus den Fehlern der anderen lernen können. Deutschland könnte also bei allen Maßnahmen die Gefahr des Netzwerkeffekts bedenken und Anforderungen stellen, die Unternehmen nicht in dem Ausmaße anwachsen lassen, wie es in den USA geschehen ist. Ein Großunternehmen mag zwar viel Geld in die Staatskassen bringen (wobei dies bei global agierenden Unternehmen auch fraglich ist), aber die Machtkonzentration und die unangenehmen Nebenwirkungen auf die Gesellschaft sind nicht zu unterschätzen.

Daher sollte Deutschland das tun, wofür es in der Welt bekannt ist: Regeln aufstellen. Genauso wie die DIN-Normen es dem Maschinenbau ermöglicht haben, ein vielfältiges Angebot von Bauteilen und Werkzeugen zu schaffen, indem nur die Form und keine konkrete Umsetzung vorgegeben wurde, genauso könnten auch Schnittstellen statt konkreten Produkten spezifiziert werden, die dann vielfältige Implementationen ermöglichen.

So wie der Katalog der DIN-Normen öffentlich (kostenpflichtig) zugänglich ist, könnten auch die Schnittstellendefinitionen veröffentlicht werden. Hierbei wäre auch ein erster Schritt hin zur digitalen Kultur möglich, indem die Spezifikationen – ähnlich den Internet-RFCs – frei zugänglich und der Prozess der Normung gemeinschaftlich gestaltet wäre, sodass gerade auch die kleinen Teilnehmer Ideen einbringen könnten.

Wenn sich auf diese Weise offene Standards etablieren, können einerseits viele Unternehmen kreative Lösungen für die Bürger und Verwaltung schaffen und andererseits können Verwaltungen die für sie passende Lösung wählen. Dies führt im besten Fall zu einer bunten, widerstandsfähigen Vielfalt, die einerseits genau unsere deutsche dezentral organisierten Strukturen unterstützt und bewahrt und andererseits damit einen zentralen Knoten im Netzwerk verhindert, der mit einem Ausfall alles zum Erliegen brächte.

Ein Kriterium bei der Umsetzung des Internets ist die Dezentralisierung: Das ursprünglich für militärische Zwecke geplante Netzwerk sollte bei einem Atombombenangriff nicht ausfallen. Ähnlich wie wir in Deutschland Gemeinde-, Landes und Bundesämter mit unterschiedlichen Aufgaben haben, sind auch die Zuständigkeiten im Internet verteilt – in der Praxis mag dies manchmal lästig sein, aber genau dies kann mit Digitalisierung verbessert werden. Leider sind die Entwicklungen des letzten Jahrzehnts ein Rückschnitt in puncto Verteilung, da sich immer mehr Macht bei den Großen gebündelt hat. Aber gerade dieser Fehler ließe sich bei der Digitalisierung der Verwaltung vermeiden.

Mit Blick auf den Beschluss des CDU-Parteitags 2019 für mehr Open-Source könnten kleine Anbieter und Beratungsunternehmen auch eine ihren Möglichkeiten angemessene Teilhabe erhalten, indem entstandene Software für öffentliche Einrichtungen frei zugänglich wäre. Für die Großunternehmen ist die freie Veröffentlichung von Quelltext ein rotes Tuch, womit sich diese Forderung positiv auf die Balance der Waagschalen auswirkt. Es mag zwar freie Softwareentwicklung auch für Verwaltungen noch Neuland sein, aber es ist leichter, in etwas hineinzuwachsen, als sich umgewöhnen zu müssen.

Banken

Ein weiteres Beispiel für eine nutzbringende Standardisierung wäre eine offene Schnittstelle für Überweisungen bei Banken. Die technischen Möglichkeiten sind mittlerweile so weit fortgeschritten, dass eine Überweisung binnen einer Sekunde abgeschlossen seien könnte. Ein elektronischer Bezahlvorgang ließe sich genauso schnell erledigen, wie ein realer Bezahlvorgang.

Für eine Bezahlung bekäme man eine URL (bank:transfer?to=IBAN&amount=…&text=…) zum Anklicken als QR-Code oder per NFC präsentiert, die von der eigenen Bank ausgeführt würde und sofort wäre der Kaufvorgang abgeschlossen; den Schritt hin zu solch einem System hat die Schweiz mit der QR-Rechnung bereits im Sommer 2020 beschritten. Einen Bedarf für externe Zahlungsdienste oder gar Kryptowährungen wäre nicht mehr gegeben, wenn die elektronische Bezahlung so schnell und vollständig wäre wie eine Bargeldzahlung.

Die Zeiten von Schecks und offline EC-Zahlungen sind vorüber. Bei der heutigen Leistungsfähigkeit der IT-Systeme kann ein Geldbetrag sofort von einem auf ein anderes Konto gebucht werden, sodass der digitale Handel mit dem Verlassen der Webseite oder des Geschäfts abgeschlossen ist.

Die deutsche Politik hat einen Handlungsspielraum für die Gestaltung der digitalen Welt. Es bedarf nur entsprechender Kenntnisse und dem Willen, diesen zu erkennen und zu nutzen. Dabei wird die Förderung von Vielfalt und Kooperation auch besser für eine lebendigere Gesellschaft sorgen als der passgenaue Zurückschnitt ausgewachsener Systeme.